
Gastronomie im Sturm: Mehr Konkurse, mehr Schliessungen
Der Beginn einer neuen Welle? Ich nenne es schon fast einen Tsunami. Dass die letzten Jahre in unserer Branche nicht einfach waren, ist uns allen bewusst. Wir sind seit längerem nicht mehr auf Rosen gebettet.
Im Jahr 2025 wurde ein Anstieg der Konkurse in der Gastronomie erwartet, zusammen mit anderen Branchen wie dem Detailhandel und dem Baugewerbe. Dies ist zum Teil auf eine strengere Gesetzgebung, zum Teil auf wirtschaftliche Faktoren zurückzuführen. Im ersten Quartal und noch deutlicher im zweiten Quartal sind die Firmenkonkurse im Vergleich zum Vorjahr in der Schweiz um 8,4 bzw. 26,6 Prozent angestiegen – am häufigsten waren die Baubranche und die Gastronomie betroffen.
In nackten Zahlen bedeutet das für unsere Branche: +7,1 Prozent im ersten Quartal und unglaubliche +55 Prozent im zweiten Quartal. Und alle Schliessungen wegen fehlender Nachfolge, aufgelöster Pachtverträge oder freiwilliger Geschäftsaufgaben sind darin nicht einmal enthalten. Zusammenfassend lässt sich also sagen: 2025 wird mit Sicherheit ein Jahr mit mehr Konkursen und Schliessungen in der Gastronomie und anderen Branchen – verursacht durch wirtschaftliche Herausforderungen, aber auch durch strengere gesetzliche Rahmenbedingungen.
Ein Blick in unsere Nachbarländer verheisst nichts Gutes. Da stehen wir vergleichsweise noch «gut» da – was den betroffenen Kolleginnen und Kollegen aber kaum Trost sein dürfte. Im ersten Halbjahr 2025 gab es in Deutschland und Österreich einen deutlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen, wobei die Gastronomie als besonders betroffene Branche gilt. Aktuelle Daten zeigen einen massiven Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr, getrieben von steigenden Kosten, einer hohen Mehrwertsteuer, einem stark veränderten Konsumverhalten, der Abnehmspritze (wer hätte das je gedacht!) und wohl noch vielem mehr.
Betriebsschliessungen – was wirklich dahintersteckt
Sie klingen harmlos, fast nach einem Verwaltungsakt. In Wahrheit sind sie aber das gastronomische Äquivalent zu einer Abrissbirne – nur ohne Staub, aber mit Tränen. Von aussen sehen wir eine dunkle Fassade, vielleicht noch ein vergilbtes Menu in der Vitrine. Der mediale Kommentar dazu: «Corona-Nachwirkungen», «Mitarbeitermangel», «Die Menschen wollen nicht mehr raus». Alles schön und gut – aber das ist nur die Kruste. Darunter steckt ein Teig, der lange gären musste, bevor er in sich zusammenfiel.
Von innen riecht es anders. Da sind Mieten, die klingen, als wollten gleich mehrere Vermieter mitverdienen, ohne je einen Teller zu spülen. Stromrechnungen, die im Monat so hoch sind wie früher in einem halben oder gar in einem ganzen Jahr. Zulieferer, die plötzlich Preise teilweise verdoppeln – und zwar nicht, weil die Sonne ausgefallen wäre, sondern weil es «halt der Markt ist». Und dann die Gäste, die fragen, warum das bisher beliebte Rindsfilet heute weit über 50 Franken kostet und dabei Daunenjacken tragen, die mehr gekostet haben als ein ganzer Monatslohn eines Lernenden.
Das Mitarbeiterproblem?
Klar, wir haben es! «Das schleckt keine Geiss weg!» Aber wer will schon 14 Stunden schuften, während Influencer in derselben Zeit mit drei Selfies, einem Matcha Latte oder einem neuen Food-Trend mehr verdienen als ein Mitarbeiter in einer Woche? Natürlich tragen auch wir Gastronomen unseren Teil bei. Manch einer hat so sehr an seinem Konzept festgehalten wie an einem alten Kochlöffel – abgewetzt, aber «immer schon so gewesen».
Andere haben Social Media behandelt wie eine ansteckende Krankheit und sich gewundert, warum niemand den neuen Sommerlunch kennt. Die Gastronomie ist kein Denkmal – sie lebt. Und wer nicht mit ihr atmet, kriegt irgendwann keine Luft mehr. Von aussen betrachtet, ist das alles ein Spiegel unserer Gesellschaft. Wir posten tränenreiche Abschiedsgrüsse an unser «Lieblingsrestaurant», nachdem wir es im letzten Jahr genau einmal besucht haben.
Wir schwören auf «Regionalität», solange sie in den Regalen der Grossverteiler liegt. Und wir jammern über verödete Innenstädte, während wir das Abendessen vom Lieferdienst auf der Couch essen und nebenbei bei Zalando bestellen. Betriebsschliessungen sind kein Betriebsunfall – sie sind eine Ansage. Sie sagen: So, wie wir bisher miteinander gegessen, getrunken, gelebt haben, funktioniert es nicht mehr.
Die Frage ist: Wollen wir als Gesellschaft weiterhin Orte, an denen mehr passiert als Nahrungsaufnahme oder reichen uns die Mikrowelle und der Bildschirm? Wenn wir nicht bald gemeinsam ein neues Rezept schreiben – Gäste, Gastronomen, Verbände und Politik – dann serviert uns die Zukunft eine Speisekarte voller leerer Adressen. Und das ist ein Gericht, das nicht mal mit Trüffel zu retten ist.
Mein etwas kreativer Rezeptvorschlag gegen die grosse Schliessungswelle
Zutaten
1 Portion Wertschätzung statt Geiz-ist-geil-Mentalität
2 Handvoll faire Rahmenbedingungen von Politik und Verbänden
3 frische Lehrlinge mit Leidenschaft für die Gastronomie
1 Prise digitale Werkzeuge (sparsam, aber wirkungsvoll eingesetzt)
1 Bund regionale Netzwerke und echte Partnerschaften
Eine gute Kelle Mut zu neuen Formaten und Konzepten
Ein Schuss gesellschaftliches Umdenken – kräftig abgeschmeckt
Zubereitung
Alles in einen grossen Topf geben, langsam erhitzen und stetig rühren. Mit Mut und Leidenschaft würzen, zwischendurch abschmecken und bei Bedarf nachjustieren. Anschliessend sofort gemeinsam servieren – Gästen, Gastronomen, Politik und Gesellschaft.
Serviervorschlag
Am besten heiss geniessen, als Kulturgericht mit Zukunftsgarantie.
Mit würzigen Grüssen, euer Torsten Götz.