Hotel und Landgasthof Kemmeriboden Bad – Da, wo die Zukunft  Herkunft hat

06.12.2024
Gourmet 12/24
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Vor etwas mehr als zwei Jahren zerstörte eine Flutwelle der Emme das Hotel und Landgasthof Kemmeriboden Bad. Riss mit, was fast 200 Jahre Bestand hatte. Verschlang die Existenz der Familie Invernizzi. Aufgeben kam nicht in Frage. Mit unglaublicher Solidarität, vereinten Kräften und grenzenloser Unterstützung eröffnete das Kemmeriboden Bad ein Jahr später wieder seine Türen. Unmögliches möglich machte dabei auch das Team der Hugentobler Schweizer Kochsysteme AG und gab dem Hotel und Landgasthof das Herzstück, die Küche, zurück.

«Giele, die Emme kann böse kommen, wenn es regnet.» Mit diesem Wissen ist Reto Invernizzi aufgewachsen. Sein Vater mahnte die Kinder immer wieder an die zwei Gesichter der Emme. Bereits 1837 beschrieb Jeremias Gotthelf: «Auf einmal erscholl der Emme Gebrüll in dem friedlichen, sonntäglichen Gelände. Man hörte sie, ehe sie kam, lief an die Ufer, auf die Brücke. Da kam sie, aber man sah sie nicht, sah anfangs kein Wasser, sah nur Holz, das sie vor sich her zu schieben schien, mit dem sie ihre freche Stirne gewappnet hatte zu desto wilderem Anlauf.»

Alles verloren

4. Juli 2022. Draussen nieselt es leicht. Das Restaurant hat Ruhetag, einige Hotelgäste geniessen das Sein im Kemmeriboden Bad. Plötzlich ertönt ein Donnern, das nicht mehr aufhören will. Reto Invernizzi, Gastgeber des Hotel und Landgasthof Kemmeriboden Bad weiss sofort Bescheid, läuft hoch zur Emme und sieht, wie diese über die Ufer kommt, eine Wand aus Holz und Schlamm vor sich herschiebt. Er verliert keine Zeit, evakuiert seine Kinder, sein Team und die Hotelgäste in den zweiten Stock. Und dann kam sie. Die Flutwelle. Während Minuten preschen Massen aus Holz, Wasser und Schlamm durch die Gebäude des Kemmeriboden Bad, fluten Keller und Erdgeschosse und verschlingen gierig Requisiten aus fast 200 Jahren. 270 Kubikmeter pro Sekunde schiessen unter den Füssen der erstarrten Menschen durch und nehmen mit, was fünf Generationen zuvor aufgebaut haben. Ein Tag später fliesst die Emme mit vier Kubikmetern pro Sekunde ihre gewohnten Schlängel, als wäre nichts passiert. Das Hotel und Landgasthof Kemmeriboden Bad jedoch hat seine Existenz verloren.

Das Wunder vom Emmental

4. Juli 2023. Auf den Tag genau feiert das Hotel und Landgasthof Kemmeriboden Bad nach einem Jahr des Wiederaufbaus Eröffnung. An den schicksalhaften Tag erinnert auch der Unwettertisch im Restaurant, ein grosser Holztisch aus ehemaligen Bodendielen, der auf einem angeschwemmten Felsbrocken abgestützt ist. Ansonsten ist alles rundum erneuert worden. Die Sitzbänke aus Emmentaler Eiche im Restaurant genauso wie der begehbare Weinschrank, die ganze Küche und der stimmige Empfangsbereich des Hotels. «Hier ist ein kleines Wunder geschehen», verkündet Reto Invernizzi. «In so kurzer Zeit Hotel und Restaurant wieder aufzubauen wäre nicht möglich gewesen, wenn wir uns nicht schon vorher mit unserer Identität intensiv auseinandergesetzt hätten.»

«Hier hinten ist ein kleines Wunder passiert.»

Reto Invernizzi, Gastgeber im Hotel Landgasthof Kemmeriboden Bad.

Die Identität des Kemmeriboden Bad? Die Enkeltauglichkeit. Ein kleines Wort mit grossem Umfang. Die Gastgeber Reto und Alexandra Invernizzi haben sich die Verantwortung gegenüber Mensch und Natur dick in ihre Unternehmenskultur geschrieben. Was alles dazu gehört? Die Bildung steht ganz oben im Manifest. «Wir sind ein Lehrbetrieb, nicht nur für unsere 15 Jungtalente, auch unsere Mitarbeitenden können sich entfalten.» Invernizzis haben nicht einfach Lieferanten, sie pflegen Seilschaften, vor allem in der Region. Die Enkeltauglichkeit findet sich in vielen kleinen Alltagshandlungen wieder, wie gegenseitiger Respekt und ein Austausch auf Augenhöhe. Platz für Humor. Wertschätzung. Und nein. Hier, am Anfang des Emmentals, sind solche Worte keine Floskeln. Im Kemmeriboden Bad wird es von jeder und von jedem gelebt. So bleibt zum Beispiel nun das Restaurant von Montag bis Mittwoch geschlossen. «Damit die Mitarbeitenden nach dem Unglück wieder ankommen können und der Ort zur Ruhe kommen kann. Damit kehren wir zurück, wo wir hergekommen sind, war doch das Kemmeriboden Bad lange Zeit ein Kurort. Ein Ort des Rückzugs und der Heilung. Unsere Hotelgäste sind nun von Montag bis Mittwoch ganz unter sich und können in der Ruhe der Abgeschiedenheit abschalten», erklärt Reto Invernizzi.

«Der Zusammenhalt und die Solidarität, die uns hier im Kemmeriboden Bad wiederfahren ist, ist unbeschreiblich.»

Reto Invernizzi, Gastgeber im Hotel Landgasthof Kemmeriboden Bad.

Chaos, Trauer und Zuversicht

5. Juli 2022. Das Wasser hat sich zurückgezogen. Geblieben ist ein Anblick schrecklicher Zerstörung. Reto Invernizzi steht im Schlamm und bezeugt vor den Medien: «Wir werden mit vereinten Kräften das Kemmeriboden Bad wieder aufbauen, wir kommen zurück.» Ein Satz, den er eher zu sich selbst spricht als zu den Medien. Unabgesprochen mit seiner Frau, im Wissen, dass sie dasselbe gesagt hätte.

Zurückkommen. Das versprachen Invernizzis auch ihren Mitarbeitenden. Jemanden zu kündigen kam nicht in Frage. «Wir haben die besten Mitarbeitenden hier. Solche Perlen finden wir sonst nirgends. Wir gaben alles, um unser Team behalten zu können», so Reto Invernizzi. Die 15 Lernenden wurden innerhalb von nur vier Tagen in befreundeten Betrieben untergebracht. Reto Invernizzi eröffnete ein Bistro in der Stadt Thun und spannte mit Bern Expo zusammen, um seinen Mitarbeitenden eine Arbeit bieten zu können.

«Wir haben kein Dreck an uns, sondern die Erde des Kemmeriboden Bad, auf dem wir aufbauen können», ermutigte Reto Invernizzi die Helferinnen und Helfer nach den Tagen des Unglücks.

Von Stunde null an packten Menschen mit an. Feuerwehr, Zivilschutz. Familie und Mitarbeitende. Helferinnen und Helfer aus der Region. Für den Patron Invernizzi war schnell klar, dass er das nicht allein schaffen kann, holte sich Hilfe von seinem Bruder, der zehn Tage blieb und Zivilschutz und Nothilfe koordinierte. Wertvolle Unterstützung hatte er auch von seinem Schwager Urs Leuthold erfahren. Der gelernte Koch und heutige Berater bei der Hugentobler Schweizer Kochsysteme AG krempelte die Hemdsärmel nach hinten, stieg in die verwüstete Küche und packte an, wo er konnte. Nahm am ersten Wochenende nach der Flut Bestand der Küche und des zerstörten Chromstahls auf, rettete das wenige, was er in der Küche retten konnte. Die Schadensdimension zeigte sich sehr rasch grösser als anfänglich angenommen. Neben der Zerstörung an der Bausubstanz und der Inneneinrichtung war jegliche Technik – also Heizung, Kühltechnik, Lüftung, Wasser- und Abwasserrohre, Elektrizität - komplett zerstört. «Wir fühlten uns ohnmächtig. Doch sobald ich akzeptieren konnte, was geschah, sah ich das Unglück auch als grosse Chance», erinnert sich Reto Invernizzi. So startete er mit seiner Familie und seinem Team die Planung des neuen Hotels und Landgasthofes. Da hinten, wo die Welt anfängt, soll auch das Kemmeriboden Bad ein neues Kapitel aufschlagen, das Herz dieses Ortes soll weiterschlagen.

Invernizzis standen unter enormem Druck. Sie wussten: «Wir können die Löhne unserer Mitarbeitenden während eines Jahres bezahlen.» In dieser Zeit musste hier, auf dem lehmigen Kemmeriboden-Bad-Boden wieder ein Bijou entstehen. Die Schwierigkeit am ganzen Wiederaufbau war nicht nur der enorme Kostendruck, sondern dass alles gleichzeitig stattfinden musste. Das Abtragen von Holz, Schutt, Geröll, Schlamm und verwüstetem Mobiliar. Die Planung und die Baubewilligungen des neuen Kemmeriboden Bad. Der Start der Bauarbeiten. «Ich kann mich noch gut an die erste Bausitzung der neuen Küche erinnern. Sie fand in den Gummistiefeln auf dem Heuboden statt», lacht Simon Daxelmüller, Küchenchef des Kemmeriboden Bad.

Das Herzstück eines jeden Gastronomiebetriebes ist die Küche. Von ihr hängt fast alles ab. Erst recht beim Neubau. Das Team der Hugentobler AG musste sich so richtig ins Zeug legen, alle warteten auf ihre Pläne, denn nur so konnten alle anderen Arbeiten weitergeführt werden. «Das war für uns eine Herkulesaufgabe und es erforderte das Commitment von jedem, zumal wir damals volle Auftragsbücher hatten und alle im Team dafür mehr als nur eine Extrameile gehen mussten», gesteht Urs Leuthold. Innerhalb von einer Woche errichtete das Hugentobler-Team eine provisorische Küche im Bauernhaus nebenan, um die  Menschen, die täglich auf der Baustelle arbeiteten, zu verpflegen. Dann galt es, das Beste für die neue Küche herauszuholen. Der Anspruch: alles barrierefrei, ohne jegliche Stufen. Die Herausforderung. Die Haustechnik. Das Highlight: Der Schockfroster: Eine begehbare Zelle mit einer Kapazität, die der erwarteten Verpflegungsfrequenz entspricht. «Das war zuerst eine Anschaffung, die einige übertrieben fanden. Die Schweizer Kochsysteme, die das Kemmeriboden Bad schon seit Generationen erfolgreich einsetzte, verlangten eine Kapazitätssteigerung, damit das Team noch effizienter zeitunabhängig produzieren kann. Dies war unser aller Ziel», erklärt Urs Leuthold. Heute zeigt sich, dass es die richtige Entscheidung war und das Küchenteam grössere Chargen produzieren kann, dadurch enorm entlastet wird und Kosten einsparen kann. Es war ein nie dagewesenes Projekt. «Nicht, weil die Abläufe anders als sonst waren. Aber die Dimension, die dieses Projekt hatte, diese Grösse in dieser Zeit, das war schlichter Wahnsinn», staunt Fritz Schütz, Projektleiter bei Hugentobler noch heute. Bruno Dietz, der die Küche gezeichnet und mitgeplant hat, fügt an: «Viele sagten uns, dass es nicht möglich sei, doch gemeinsam machten wir es wahr. Es war einfach eindrücklich, diese Solidarität an diesem und für diesen Ort. Und Fritz Schütz ergänzt: «Es war ein Arbeiten Hand in Hand, über alle Gewerbe hinaus. Jeder half jedem. Jeder kannte sich, da alle aus der Region kommen und das Kemmeriboden Bad von früheren Aufträgen gut kannten.»

«Das Kemmeriboden Bad hat uns als Team gestärkt. Wir verstehen uns noch besser.»

Fritz Schütz, Projektleitung und Planung bei der Hugentobler Schweizer Kochsysteme AG.

Menschen und Herzensgeschichten

Ende Oktober ist das GOURMET-Team im Kemmeriboden Bad, folgt den Geschichten, die uns Reto Invernizzi und das Hugentobler-Team erzählen. Es sind über zwei Jahre vergangen seit dem Unwetter. Das Adrenalin ist weg. Doch die Emotionen über das Geschehene dringen bis in unsere Zellen vor. Und wir wissen: Wer es nicht miterlebt hat, kann die Dimension von Trauer, Ohnmacht, Verlust, Hoffnung, Glücksgefühlen und des starken Miteinanders nie erfassen. Ist es nicht eindrücklich, dass 95 Prozent der Mitarbeitenden dem Kemmeriboden Bad erhalten blieben? Warum das so ist, beschreibt uns Alexandra Hasler, Sous Chefin. «Ich komme von daheim und gehe ins Daheim.» So einfach. Sie, die bereits ihre Lehre hier absolvierte und nach einem Abstecher wieder ins Kemmeriboden Bad zurückkam, sagt, dass sie keinen anderen Betrieb kenne, der so familiär sei. Vor dem Unglück nicht, jetzt erst recht nicht. Und Küchenchef Simon Daxelmüller: «Das Unglück hat mich und unser Team gestärkt. Wir waren vorher schon ein Team mit starkem Band. Nun schätzen wir noch mehr, was wir aneinander haben. Reto hat uns immer die Zuversicht geschenkt, dass alles gut kommt. Und wenn er sagt, dass wir es schaffen, dann ist es auch so.» Simon Daxelmüller hätte sofort einen neuen Job bekommen, kurz nach dem Unglück wurde er überflutet mit Jobangeboten. Er blieb. Konnte bei der neuen Küche mitentscheiden. Und arbeitet nun noch lieber: «Die offene Küche ist für uns eine schöne Wertschätzung. Auch, dass wir als Mitarbeitende wieder in der Gaststube essen. Ich mag den Kontakt mit den Gästen, das Gefühl, gesehen zu werden.»

Und auch für Bruno Dietz, Urs Leuthold und Fritz Schütz von der Hugentobler Schweizer Kochsysteme AG war es ein Projekt der Extreme, das zusammengeschweisst hat. Die drei kennen und schätzen sich nun, wie nie zuvor. Ein eindrückliches Jahr für alle Beteiligten. Auch wenn das Hotel und Landgasthof Kemmeriboden Bad schon über ein Jahr wieder Gäste empfängt und am neuen Ort mit den neuen Prozessen angekommen ist. Auch wenn die Gläser wieder klirren, die Gäste wieder lachen und die Töpfe wieder klingen. Die Emotionen hallen noch lange nach. Wir prosten an: Auf die 200 Jahre alte Geschichte, die ein neues Kapitel feiern darf. Herzlich willkommen zurück, Kemmeriboden Bad.


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