
Vermieterin will keinen Gastrobetrieb mehr im Haus: Kündigung!
Darf die Eigentümerin eine langjährig vermietete Gastgewerbe-Lokalität kündigen, um sie anders zu nutzen als bisher?
Ein Restaurant im Zentrum von Genf wurde seit dem Jahre 1912 im selben Gebäude betrieben, ab dem Jahre 1982 von derselben Mieterin mit demselben jahrzehntelang erfolgreichen Betriebskonzept. Der Mietvertrag wurde letztmals im November 1991 für weitere zehn Jahre erneuert. Seither verlängerte sich der Mietvertrag mangels Kündigung einer Mietvertragspartei jeweils stillschweigend von Jahr zu Jahr. Im Jahre 2006 kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis ordnungsgemäss auf Ende April 2007. Die Mieterin verlangte die Begründung der Kündigung. Diese antwortetet, sie wolle die Lokalität künftig nicht mehr als Gastronomiebetrieb vermieten. Daraufhin gelangte die Mieterin vorab an die Schlichtungsbehörde in Mietsachen und anschliessend an das zuständige Genfer Mietgericht. Sie forderte die Feststellung der Ungültigkeit der Kündigung wegen Missbräuchlichkeit, eventuell die maximale Erstreckung des Mietverhältnisses. Das Mietgericht erachtete zwar die Kündigung als gültig, erstreckte jedoch das Mietverhältnis um sechs Jahre bis Ende April 2013. Dagegen gelangte die Vermieterin an das Genfer Appellationsgericht. Dieses entschied im Oktober 2009 zugunsten der Mieterin und hob die Kündigung der Vermieterin vom Frühjahr 2006 auf. Die Vermieterin zog an das Bundesgericht und beantragte die Bestätigung der Gültigkeit der Kündigung und sprach sich gegen eine Erstreckung des Mietverhältnisses aus.
Verschafft eine langjährige Gewerbe-Miete ein stärkeres Recht?
Im Lauf der Zeit kann sich der Umgebungscharakter einer Liegenschaft ändern, beispielsweise wird aus einem vormaligen Industriequartier eine Ausgeh-Meile, oder es ändern sich die Präferenzen der Gesellschaft und gegebenenfalls auch der Vermieterschaft. Deshalb kann der unter Umständen langjährige Verwendungszweck für das Mietobjekt «aus der Zeit fallen». Damit aber ein Mietobjekt den gewandelten Ansprüchen angepasst und einem neuen Verwendungszweck zugeführt werden kann, müssen die vorbestehenden Mietverhältnisse entweder angepasst oder gar beendet werden.
Die Eigentümerinteressen gehen den gewerblichen Interessen der Mieterin grundsätzlich vor …
Gemäss Art. 271 Abs. 1 OR ist eine Kündigung anfechtbar, falls sie dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspricht. Diese Regel schützt die Mieterin speziell vor schikanösen Kündigungen, die nicht durch vertretbare Gründe des Vermieters zu rechtfertigen sind. Gundsätzlich ist aber eine Kündigung der Vermieterin aus wirtschaftlich motivierten Gründen mit dem Prinzip von Treu und Glauben vereinbar, selbst dann, wenn es der langjährigen Mieterin schwerfallen dürfte, innert nützlicher Frist im näheren Umfeld ein vergleichbares Mietobjekt zu finden. Ebenso ist ein Gesinnungswandel der Vermieterschaft hinsichtlich des Verwendungszwecks ihrer Liegenschaft per se nicht rechtswidrig, erst recht, wenn sich die Umgebung des Gastronomiebetriebes in den vorangegangenen Jahren so stark verändert hat wie im vorliegenden Fall. Denn von der Vermieterin kann nicht erwartet werden, dass sie mit dem Abschluss eines Mietvertrages quasi im Voraus zusichert, den vereinbarten Verwendungszweck als Restaurant unbeschränkt lange beizubehalten. Grundsätzlich sind nämlich die Eigentümerrechte der Vermieterin höher zu gewichten als die wirtschaftlichen Interessen der Mieterin.
… aber mit einer längeren Erstreckung ist zu rechnen
Gestützt auf Art. 272 ff. OR kann aber die Mieterin die Erstreckung des Mietverhältnisses bis maxi-mal sechs Jahre verlangen, falls dessen Been-digung für sie so schwere Konsequenzen zeitigen würde, wie sie durch die Vermieterinteressen nicht zu rechtfertigen wären. In der Praxis wird daher meist eine sogenannte «Erst»-Erstreckung gewährt, wobei die Mieterin berechtigt ist, nötigenfalls eine «Zweit»-Erstreckung zu beantragen (Art. 272 b Abs. 1 OR). Da im vorliegenden Fall seitens der Vermieterin keine hinreichenden Dringlichkeitsgründe für die Beendigung des doch langjährigen Mietverhältnisses geltend gemacht wurden, befand das Bundesgericht eine maximale Erstreckung von sechs Jahren für angemessen, damit sich die Mieterin den veränderten Verhältnissen in einem schwierigen Gewerbeumfeld anpassen könne (BGE 136 III 190 ff.).
Fazit:
Im Gastgewerbe sind in der Regel beide Mietvertragsparteien für ihre Verhältnisse hoch investiert. Die Beendigung des Mietverhältnisses ist daher oftmals existenziell. Schon aus diesen Gründen erscheint es angezeigt, dass sich die Mietvertragsparteien periodisch über die gegenseitigen Befindlichkeiten und Pläne austauschen. Besonders Entscheidungen, die für die andere Vertragspartei von wesentlicher Tragweite sein können, sollten möglichst frühzeitig angekündigt und besprochen werden, damit diese nötigenfalls zeitgerecht reagieren kann. Auf diese Weise lassen sich spätere kostspielige Rechtsverfahren oftmals vermeiden. Denn erfahrungsgemäss können Mietverträge von versierten Parteien ohnehin jahrelang «kalt erstreckt», das heisst mittels Rechtsmittelverfahren verlängert werden.