Gemeinsam am Tisch:

Weshalb die Gastronomie unsere Gesellschaft zusammenhält – und warum auch die Rechnung aufgehen muss

26.09.2025
Gourmet 10/25
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Melanie Mettler ist Finanzdirektorin der Stadt Bern und weiss, dass gute Politik – genau wie ein gutes Essen – nur mit den richtigen Zutaten gelingt.

Ich wurde Ende 2024 von der Bevölkerung der Stadt Bern in die städtische Regierung gewählt und stehe nun seit einigen Monaten der Direktion für Finanzen, Personal und Informatik vor. Die Stadt Bern ist seit Jahren in absoluten Mehrheiten von linksgrünen Parteien regiert. Die Lebensqualität ist hoch, viele Familien wohnen hier, der Wirtschaftsraum Stadt Bern erwirtschaftet das höchste BIP pro Kopf schweizweit. Und bevor Sie denken, jaja, Verwaltungsstadt: auch ohne öffentlichen Sektor erbringt die Stadt Bern die dritthöchste Wirtschaftsleistung pro Kopf. Der Topf für den finanziellen Steuerausgleich zwischen Kanton und Gemeinden wird fast zur Hälfte von der Stadt Bern gefüllt und trägt somit massgeblich dazu bei, die Leistungen der öffentlichen Hand im Kanton Bern zu finanzieren. In der Stadt Bern entstand in den letzten zehn Jahren bei einem moderaten Bevölkerungswachstum viel Wohnraum, und das bei Wohnflächenpreisentwicklungen, die mit dem Wirtschafts- und Lohnwachstum einigermassen im Verhältnis stehen. Der Stadt geht es also punkto Lebensqualität und punkto Wirtschaft sehr gut.

Die Gastronomie und Hotellerie ist nicht nur ein Wirtschaftszweig – sie ist das Herzstück unserer Gesellschaft.

Melanie Mettler, Finanzdirektorin der Stadt Bern.

Was nicht gut gelang, war eine nachhaltige städtische Finanzpolitik. Das Wirtschaftswachstum wurde in Konsum und immer kleinräumigere politische Begehrlichkeiten gesteckt, anstatt in künftige Lebensqualität und in den Werterhalt zu investieren. Dabei bleiben die Umbrüche, in denen wir stecken, nicht nur gesellschaftlich, sondern auch wirtschaftlich herausfordernd. Die alternde Gesellschaft, steigende Hitze und der Umbau der Arbeitswelt durch die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz bringen anspruchsvolle Veränderungen mit sich. Und so steigt die Schuldenlast der Stadt Bern trotz wachsenden Steuereinnahmen. Nicht, wie es eigentlich gedacht wäre, um Wirkung in der Zukunft zu erzielen, sondern um Konsumansprüche zu bedienen. Die Mitarbeitenden stehen dabei unter grossem Druck: die Ansprüche aus Politik und Bevölkerung an die Leistung der öffentlichen Hand steigen – mehr kosten soll es aber nicht.

Es freut mich deshalb als neue Finanzdirektorin ungemein, dass es der Regierung nun zum ersten Mal seit vielen Jahren gelang, ein ausgeglichenes Budget zu präsentieren. Auch für die kommenden Jahre der Legislatur ist es das erklärte Ziel, die städtischen Leistungsversprechen mit den verfügbaren finanziellen und personellen Ressourcen in ein Gleichgewicht zu bringen. Damit das gelingt, müssen alle zusammenarbeiten: Verwaltung, Parlament, Parteien und Gewerkschaften, Bevölkerung, KMU und Wirtschaft. Ich investiere gerne in diese Zusammenarbeit.

Doch bevor ich mich weiter in Finanzpolitik verliere, möchte ich eines klarstellen: Die Gastronomie und Hotellerie ist nicht nur ein Wirtschaftszweig – sie ist das Herzstück unserer Gesellschaft. Wo sonst kommen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Altersgruppen und Berufe so selbstverständlich zusammen wie in einem Restaurant, an einer Hotelbar, in der Kantine oder auf einem Fest? Genuss ist mehr als nur Essen und Trinken – es ist ein Weg, die Welt zu erleben, neue Perspektiven kennenzulernen und echte Verbindungen zu schaffen. Und das verdient unseren Respekt und unsere Wertschätzung.

Ich bin in einer Geniesserfamilie aufgewachsen, in der das Essen nie nur Nahrungsaufnahme war, sondern ein Fest für die Sinne.

Melanie Mettler, Finanzdirektorin der Stadt Bern.

Eine Kindheit voller Genuss – und unvergesslicher Momente

Ich bin in einer Geniesserfamilie aufgewachsen, in der das Essen nie nur Nahrungsaufnahme war, sondern ein Fest für die Sinne. Schon als Kleinkind habe ich mit Wonne die Miesmuscheln aus der Schale gepickt – alles, ausser Auberginen (die ich heute übrigens liebe), wurde mit Begeisterung verspeist. Doch neben dem kulinarischen Vergnügen war es vor allem das Zusammensein, das diese Momente unvergesslich machte: der grosse Familientisch, an dem die Erwachsenen über Gott und die Welt diskutierten, während ich als Kind den Gesprächen lauschte und mich in fremde Welten träumen konnte.

Diese Erfahrungen haben mich geprägt. Denn wo, wenn nicht im Nicht-Alltäglichen, im Besonderen, beim Auswärtsessen, auf Ausflügen oder Reisen, entstehen Erinnerungen, die uns als Individuen, mit unseren Liebsten und als Gesellschaft prägen? Die Gastronomie ist nicht bloss ein Ort der Verpflegung – sie ist ein Raum der Begegnung, der Geschichten und der gemeinsamen Freude.

Die Herausforderungen der Branche – und warum sie uns alle etwas angehen

Die Gastronomie steht vor grossen Herausforderungen: Personalmangel, steigende Kosten und der Druck, immer noch besser, schneller und nachhaltiger zu werden. Klingt bekannt? Genau das sind auch die Themen, mit denen ich mich in meiner Direktion beschäftige. In Bern haben wir lange Zeit zu wenig in die Zukunft investiert – stattdessen wurden kurzfristige Wünsche bedient. Das Ergebnis? Ein Berg an Aufgaben, die jetzt dringend angegangen werden müssen.

Ähnlich verhält es sich oft  in der Gastronomie: Statt langfristig in Ausbildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu investieren, wurde oft versucht, mit wenig Mitteln viel zu leisten. Doch das geht auf Dauer nicht gut. Die Branche braucht nicht nur die Anerkennung ihrer Gäste, sondern auch konkrete Bereitschaft, einen angemessenen Preis für konsumierte Leistung zu bezahlen.

Wenn die Lebensqualität hoch ist, entsteht Wettbewerb

Wenn die Lebensqualität hoch ist, die Leute gern geniessen und die Wirtschaft wächst, dann ergeben sich viele unternehmerische Gelegenheiten. Der Wettbewerb steigt, und schon manche Branche hat dabei den Fehler gemacht, dem Wettbewerb mit Preiszerfall zu begegnen. Konsumierende gewöhnen sich daran, dass sie Leistungen zu Preisen bekommen, die faire Löhne, Investitionen in die Zukunft und nachhaltiges Wirtschaften gar nicht zulassen. Doch Genuss hat seinen Preis – und dieser sollte fair sein, damit diejenigen, die ihn uns bieten, auch davon leben können.

Wir als Geniessende sollten bereit sein, für den Wert des Genusses einen Preis zu bezahlen, der zukunftsfähig ist. Denn nur so können wir sicherstellen, dass die Gastronomie und Hotellerie auch in Zukunft ein Ort der Begegnung, der Qualität und der Freude bleibt.

Melanie Mettler, Finanzdirektorin der Stadt Bern.

Warum wir alle davon profitieren, wenn die Gastronomie stark bleibt

Ein gutes Restaurant ist mehr als nur ein Ort, an dem man isst. Es ist ein Treffpunkt, ein Ort des Austauschs, der Kultur und der Freude. Als Finanzdirektorin weiss ich, dass wir in Bern viel erreicht haben – aber ohne die Gastronomie und Hotellerie wäre unsere Stadt nicht das lebendige Zentrum, das sie heute ist.

Deshalb sollten wir die Branche nicht nur als Wirtschaftsfaktor sehen, sondern als unverzichtbaren Teil unseres sozialen Miteinanders. Wenn wir gemeinsam daran arbeiten, die Herausforderungen zu meistern – sei es durch gezielte Investitionen, bessere Arbeitsbedingungen oder eine stärkere Wertschätzung für die Menschen, die uns täglich mit Genuss versorgen –, dann profitieren wir alle.

Veränderung gemeinsam leben

Ob in der Politik oder in der Gastronomie – Veränderung gelingt nur, wenn wir zusammenarbeiten. Die neue Regierung in Bern hat sich zum Ziel gesetzt, ein ausgeglichenes Budget zu erreichen und langfristig tragfähige Lösungen zu schaffen. Dafür braucht es nicht nur klare Ziele, sondern auch den Willen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Genauso sollte es in der Gastronomie sein: Statt nur über Probleme zu reden, sollten wir Lösungen finden – sei es durch digitale Tools, die Arbeit erleichtern, durch nachhaltige Konzepte, die Umwelt und Wirtschaft vereinen, oder durch eine Kultur der Wertschätzung, die die Menschen hinter den Kulissen sichtbar macht.

Denn am Ende des Tages geht es darum, dass wir alle – ob Politikerinnen, Köche, Kellnerinnen oder Gäste – gemeinsam am Tisch sitzen und das Leben geniessen. Und das ist doch etwas, wofür es sich lohnt, zu arbeiten.


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