Artiset Bildung – Faszination Koch/Köchin in einer sozialen Institution – eine sinnstiftende Tätigkeit

06.06.2023
Gourmet 6/23
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Der betagte Mann – nennen wir ihn Fritz Marti – sitzt am Tisch auf seiner Wohngruppe und betrachtet seinen dampfenden Teller. Missmutig stochert er im Essen herum. Es passt nicht. Die Pflegefachfrau beobachtet dies und spricht ihn darauf an. Das Geschnetzelte sei zu wenig weich. Dafür der Broccoli nur pfluderig. ‘Nicht schon wieder’, denkt die Mitarbeiterin, und stöhnt innerlich auf. Seit einiger Zeit geht das so. Man kann es Herrn Marti einfach nicht recht machen. Nach aussen hin bleibt sie ruhig und gelassen. Geduldig hört sie zu, nimmt dann den Teller mit und bringt die Beschwerde in die Küche. Ihr Ansprechpartner ist Küchenchef Frederic Hänssler. Er versteht die Situation und verspricht, sich darum zu kümmern.

Heute kann er das, doch das war nicht immer so. Rückblende: Frederic Hänssler wechselt von der Spitzengastronomie in die Küche des Seniorenzentrums Schönthal in Füllinsdorf. Gründe hin zur Heimküche hat er ein paar, Gründe weg von der klassischen Gastronomie eine ganze Menge. Er wechselt nicht nur das Gebiet, sondern im Grunde den gesamten Kontinent. Das weiss er noch nicht, es wird ihm aber bald und unmissverständlich klar. Hier herrschen ein anderes Klima, eine andere Sprache, andere Umgangsformen. Seine Strategien aus dem Restaurant funktionieren nicht mehr. Sein Verhalten und seine Art der Zusammenarbeit laufen ins Leere. Abliefern für den anstehenden Service ist zu kurzfristig gedacht. Er merkt: Hier geschieht etwas Grösseres. Fassen kann er es noch nicht so klar. Entwicklung, wenn man das denn so nennen kann, geschieht nur in kleinen Schritten, und dies macht ihn nachdenklich. Dass Sozialkompetenz nicht nur den sozialen Berufen vorbehalten ist, begreift er ganz allmählich. Er hat viele Fragen, einen ganzen Berg davon - und dieser wird immer grösser. Darauf ist er nicht vorbereitet.

Doch Hänssler ist zäh, hängt sich rein, will verstehen. Eines wird für ihn immer klarer: den Fokus auf die Küche allein zu richten, reicht nicht! Er fühlt sich mittendrin in einem Geschehen, das er nur ansatzweise überblickt. Individuelle Bedürfnisse der Bewohnenden, Krankheiten, körperliche Gebrechen, die ihm bis anhin fremde Berufskultur der Pflege – das Bewusstsein wächst an den Herausforderungen. Keine Halbwahrheiten, sondern ordentlich Leben, mit allen Hochs und Tiefs. Dass die Küche hier eine zentrale Rolle einnimmt, ja sogar Einfluss nehmen kann, verschafft ihm ungekannte Befriedigung. Das spornt ihn an. Es ist nun nicht mehr der Berg an Fragen, der ihn umtreibt, sondern zunehmend die Erkenntnis, dass die Art seiner Fragen nicht zielführend ist.

Die Institution

Das Seniorenzentrum Schönthal, Füllinsdorf, vereint Angebote unter einem Dach, die auf die aktuellen und künftigen Bedürfnisse und Wünsche der älteren Bewohnerinnen und Bewohner ausgerichtet sind.

Es bietet 95 betagten Menschen im Pflegeheim ein Zuhause und 29 altersgerechte Wohnungen für Wohnen mit Services.

Über 135 Mitarbeitende aus verschiedenen Nationen, Teilzeit- und Vollzeitangestellte, sorgen in Schichtdiensten rund um die Uhr für das Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner.

«Mit unserem Pflege- und Betreuungsverständnis, einer aktivierenden Alltagsgestaltung sowie der guten traditionellen Küche schaffen wir eine bestmögliche Grundlage für gute Lebensqualität und Lebensfreude. Wir pflegen den Kontakt zu den Angehörigen und öffnen uns mit dem Restaurant <le pavillon> sowie verschiedenen Veranstaltungen nach aussen.»

Auf der Suche nach Antworten absolviert er den Lehrgang «Koch in sozialen Institutionen» von ARTISET. Hier gehen die Lichtlein auf, er findet Identität und Rollenklarheit. Inzwischen als Küchenchef angekommen, sieht er überall Möglichkeiten. Einzig die Prozesse im Betrieb zwingen ihn, die Dinge in einem gesunden Mass anzugehen. Denn wer am Verpflegungsprozess schraubt, löst im ganzen Haus eine Welle aus. Das weiss er aus dem Lehrgang, und dies hat er erlebt in der Umsetzung seiner Projekte und seiner Kompetenznachweise für die Weiterbildung. Mittlerweile hat er ein Gefühl für Nahtstellen und kennt das Verbindende der verschiedenen Berufskulturen im Haus. Das hilft ihm und schafft einen systemischen Denkansatz. Er sieht den Erfolg nicht mehr nur wie früher am leistungsorientierten Output, sondern am gemeinsam Machbaren. Seine Qualitätsindikatoren sind die Bewohnenden. Darum treibt es ihn öfters aus der Küche in die Begegnung. Das alles fordert von ihm nicht mehr, als er geben kann. Aber es fordert ihn als ganzen Menschen. Glück!

«Für uns als gut eingespieltes Team wechseln die Herausforderungen und Aufgaben täglich. Unser wichtigster Tag ist somit der Alltag.»

Frederic Hänssler, Küchenchef

Zurück zu Fritz Marti, dem die Essfreude abhandengekommen ist. Frederic Hänssler konsultiert die aufgenommene Essbiografie. Hier sind die relevanten Angaben zu Vorlieben, Wünschen und Gepflogenheiten rund ums Essen aus dem Leben von Herrn Marti festgehalten. Bei seinem Eintritt hat Frederic Hänssler das Gespräch zur Essbiografie selber geführt. Am Nachmittag findet auf den Etagen das Singen statt. Da ist Herr Marti immer mit dabei. Frederic Hänssler beschliesst, nach diesem Anlass Herrn Marti einen Besuch abzustatten.

Aufgrund der Essbiografie weiss der Küchenchef, dass Herr Marti gerne Glace isst. Nicht irgendeine, sondern die Stengeli-Glace von Gasparini, nicht diejenige im Becher. Herr Marti freut sich über den Besuch und noch mehr auf das Eis. Gemeinsam geniessen sie die Leckerei, die Atmosphäre ist entspannt. 

Frederic Hänssler beginnt das Gespräch ums Wohlbefinden und kommt anschliessend auf die Essensituation im Allgemeinen und das Mittagessen im Besonderen. Es stellt sich heraus, dass Herr Marti einige schlechte Erinnerungen an Fleischmenus hat. Seine Frau hatte Fleischgerichte oft verbrannt. Gegessen hat er es jeweils trotzdem, ihr zuliebe. Aber er verträgt den Geruch von Fleisch seither immer weniger.

Frederic Hänssler beginnt das Gespräch ums Wohlbefinden und kommt anschliessend auf die Essens-situation im Allgemeinen und das Mittagessen im Besonderen. Es stellt sich heraus, dass Herr Marti einige schlechte Erinnerungen an Fleischmenus hat. Seine Frau hatte Fleischgerichte oft verbrannt. Gegessen hat er sie jeweils trotzdem, ihr zuliebe. Aber er verträgt den Geruch von Fleisch seither immer weniger.

Essbiografie

Essgeschichte einer Person: Stellt Erlebnisse und Gefühle in Verbindung mit Essen und Trinken dar, die in Erinnerung geblieben sind. Diese Informationen sind zentral für die Angebotsplanung und Sicherstellung der Lebensqualität. Vor allem auch dann, wenn die Bewohnenden mit Einschränkungen oder Erkrankungen konfrontiert sind.

 

«Als Koch brauche ich neben meiner spezifischen Fachlichkeit ein ausgesprochenes Mass an Sozialkompetenz», sagt Frederic Hänssler. «Durch unseren hohen Anspruch an Lebensqualität für die Bewohnenden haben wir täglich -zig Telefone zu kleineren Problemen, die für Aussenstehende oft eher unscheinbar anmuten, in ihrer Lösung aber zentral sind für die Menschen, für die wir kochen. Damit unser Alltag gelingt, müssen viele Zahnräder ineinandergreifen. Das Gelingen müssen wir jeden Tag neu erarbeiten. Unser aller Ziel sind zufriedene Gäste – bei uns sind das die Bewohnenden, die Angehörigen, Mitarbeitende der Institution und auch die externen Gäste.»

«Wenn wir diese Prozesse nicht im Griff haben, wirken sie sich unmittelbar und automatisch auf die betrieblichen Kosten aus.»

Lukas Küng-Dobler, Leiter Hotellerie

«Das Bewusstsein für die Prozesse in der Institution hat sich durch die Weiterbildung Koch in sozialen Institutionen von Frederic Hänssler um ein Vielfaches erweitert. Der Küchenprozess hört bei uns nicht beim Teller anrichten auf», erläutert Lukas Küng-Dobler, Leiter Hotellerie. «Die Speisenverteilung gehört ebenfalls dazu. Die logistischen Prozesse müssen justiert werden. Dazu gehört einerseits ein gezielter Mitarbeitenden-Einsatz, andererseits müssen Produktionstiefe und -breite analysiert und angepasst werden. Eine vorhandene Infrastruktur ist das eine, aber man muss diese auch richtig zu nutzen wissen.» 

«Das Lehrgangskonzept mit den Kompetenznachweisen ist verpflichtender und bringt dem Betrieb einen direkten Rücklauf. Der Einsatz der Institution für die Mitarbeitenden, die diese Weiterbildung besuchen, steht in keinem Verhältnis zum Gewinn daraus. Die Absolvent:innen kommen mit einem neuen Bewusstsein in den Betrieb.»

Stephan Zbinden, Geschäftsführer

Der Lehrgang trägt diesem breiten Spektrum an Fachwissen Rechnung. Unternehmerisches Denken und Handeln wird gefördert, einerseits durch die Vernetzung von betriebswirtschaftlichen Themen, andererseits durch Fachthemen rund um die Ernährung und Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigung, Menschen im Alter sowie Kinder- und Jugendliche. Führung, Auftritt und Kommunikation sinnvoll in den Entwicklungsprozess eingewoben, fördern das Rollenverständnis und stärken die Persönlichkeit. Geprüft wird nicht nur das Wissen aus all diesen Gebieten, sondern die konkrete Umsetzung anhand vorgegebener Kompetenznachweisen. «Dieses breite und vernetzte Denken ist das, was mich für diesen Lehrgang motiviert hat. Kochen allein kann ich ja, aber von diesen ergänzenden Themen habe ich extrem viel profitiert», sagt Frederic Hänssler. Und Stephan Zbinden, Institutionsleiter, ergänzt: «Als agile Institution müssen wir am Ball bleiben. Dazu müssen alle Organisationsbereiche in den Verbesserungsprozesse mit eingebunden sein.»

Der Lehrgang

Die Schwerpunkte des Banchenzertifikats «Koch:Köchin in sozialen Institutionen» erweitern das klassische Berufsbild Koch:Köchin um ein Vielfaches. Vertieft werden Kompetenzen in Ernährungsfragen, sowie spannende Themen aus sozialer und kommunikativer Perspektive. Ferner spielen ökonomische Parameter im Rahmen einer vernetzten Betriebsorganisation eine bedeutende Rolle.

Nächster Start: 16. August 2023

Dauer: 21 Tage

Auskunft/Beratung:

Christoph Roos, Lehrgangsleitung,

041 419 01 95

christoph.roos@artisetbildung.ch


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