Culina-Roundtable zu Fachkräftemangel und Energiekrise – Begeisterung für Berufe in der Gastronomie
Fachkräftemangel und steigende Energiekosten belasten das Gastgewerbe stark. Wie können Hoteliers, Gastronominnen und Heimleiter diese Herausforderungen bewältigen? Wohin geht die Reise und wer bietet Unterstützung? Über diese und ähnliche Fragen diskutierten am Roundtable Branchenexpertinnen und -experten vom Verband Schweizer Gastroplaner und von Culina, dem schweizerischen Verband für Grossküchen-Technik. Gastgeberin war die Beer Grill AG im aargauischen Villmergen.
Stephan Frech: Lassen Sie uns mit einem Blick auf das Stimmungsbarometer beginnen: Wie erleben Sie derzeit die Situation in der Gastronomie? Wie läuft das Geschäft?
Oliver Brouwer: Die Stimmung ist gut, die Geschäfte laufen und die Auftragsbücher sind voll. Allerdings haben viele Betriebe Schwierigkeiten, Personal zu finden. In Städten oder Tourismusgebieten läuft es besser als auf dem Land und in den Agglomerationen. Dort schliessen Traditionsbetriebe, auch weil es schwierig ist, Nachfolgerinnen und Nachfolger zu finden.
Patrik Wiget: Das sehe ich ähnlich. Viele Betriebe können die Nachfrage nicht mehr abdecken. Gastro Suisse spricht von 50 000 Mitarbeitenden, die in der Gastronomie fehlen. Selbst in Spitälern und Altersheimen ist es schwieriger geworden, Köchinnen und Köche zu finden, vor allem Diätköche.
Oliver Mosimann: Wer im Service bleiben will, geht momentan lieber in den À-la-Carte-Bereich, andere wechseln ganz die Branche. Dort haben sie geregelte Arbeitszeiten und weniger Stress. Diese Leute kommen auch nicht mehr zurück.
Stephan Frech: Wie machen sich diese Entwicklungen konkret bemerkbar?
Thomas Roth: Wohl zunehmend in steigenden Preisen und sinkender Servicequalität. Die Energie- und Warenkosten sind gestiegen und Servicemitarbeitende müssen oft doppelt so viele Gästen bedienen.
Markus Conrad: Erschwerend kommt hinzu, dass viele Mitarbeitende Teilzeit arbeiten wollen, um Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Auch damit müssen wir umgehen.
Thomas Roth: Wobei sich viele der Konsequenzen nicht bewusst sind: Teilzeitarbeit bedeutet auch weniger Lohn und damit weniger Geld in der Pensionskasse, während die Arbeitslast oft gleich bleibt.
Cornelia Escher: Ich glaube, das ist auch eine Frage des Alters: Je jünger man ist, desto wichtiger ist die Work-Life-Balance. Später denkt man wieder mehr darüber nach, was unter dem Strich bleibt.
Oliver Mosimann: Ich sehe das anders: Die Generation Z will nicht weniger arbeiten, sondern flexiblere Arbeitszeiten. Ich kenne Betriebe, in denen Mitarbeitende ihr 100-Prozent-Pensum auf vier Tage verteilen und drei Tage frei haben. Diese Betriebe haben keine Probleme, Personal zu finden.
Oliver Brouwer: Man muss auch die Produktionsabläufe anpassen, zum Beispiel die Zimmerstunde durch Blockzeiten ersetzen und den Nachmittag für die Vorproduktion nutzen. Dazu braucht es aber Fachkräfte und Hilfskräfte.
Thomas Roth: Mit der Vorproduktion allein ist es nicht getan. Es geht ja auch um den Service und die Bedienung der Gäste. Und wenn die Vorproduktion nicht sauber ausgelegt wird, ist die Effizienz schnell dahin und die Umstellung kostet im Endeffekt mehr.
Walter Nef: Die Krise kann ja auch eine Chance sein, das Angebot zu überdenken. Braucht es wirklich eine 17-seitige Speisekarte oder konzentriere ich mich lieber auf ein kleineres Angebot. Oft fehlt aber der Mut dazu.
Jasmina Mujalo: Das merken wir auch. Viele Gastronominnen und Gastronomen sind es zwar leid, ständig Personal zu suchen, schwierige Lohnverhandlungen zu führen und trotzdem fehlt der Mut, neue Wege zu gehen.
Stephan Frech: Gibt es Unterschiede zwischen Betriebsarten? Ist also die klassische Gastronomie an einem anderen Punkt als Kantinen, Heime und Spitäler, die in der Speisenverteilung tätig sind?
Oliver Brouwer: Ja, definitiv. Spitäler sind eher bereit, in Prozessoptimierungen zu investieren. Sie haben andere finanzielle Möglichkeiten, während klassische Betriebe oft am Status quo festhalten.
Cornelia Escher: Bäckereien haben diesen Wandel ja längst hinter sich: Früher standen Bäckerinnen und Bäcker morgens um zwei in der Backstube, heute produzieren sie zwei Tage im Voraus und arbeiten mit Wochenchargen. Wer optimieren will, muss halt auch investieren. Und das haben viele versäumt. Da sind Heime tatsächlich im Vorteil.
Markus Conrad: Aber nicht jeder kann investieren. Deshalb wird es eine weitere Bereinigung geben. Andererseits funktionieren viele klassische Landgasthöfe nach wie vor sehr gut, vor allem wenn Gastgeber mit Herzblut dabei sind. Sie finden auch Lernende, was auf dem Land natürlich einfacher ist.
Thomas Roth: Bei den Investitionen geht es nicht nur um Geräte und die Anpassung der Produktion, sondern oft auch um die räumliche Gestaltung, etwa die Zugänglichkeit der Kühlräume über Treppen. Solche Herausforderungen gibt es selbst in modernen Grossküchen. Und hier ist auch der Gebäudeeigner in der Plicht. Der ist aber oft nicht bereit, Hand für einen effizienten Betrieb zu bieten.
Oliver Mosimann: Wir müssen zwischen Pächterinnen und Eigentümern unterscheiden. Viele scheitern auch einfach daran, dass der Rattenschwanz so lang ist, und sie lieber so weitermachen wie bisher.
Cornelia Escher: Vielleicht muss man auch einfach das Mindset ändern. Wieso können sich Gastronominnen und Gastronomen nicht zusammenschliessen und Synergien nutzen? Es muss ja nicht jeder alles selbst produzieren.
Stephan Frech: Ein spannender Ansatz, Cornelia. Gastronominnen und Gastronomen sind ja oft in ihren Schwierigkeiten gefangen, während ihr aus der Helikopterperspektive einen anderen Blickwinkel einnehmt – wo würdet ihr den Hebel an ihrer Stelle ansetzen? Bei der Rekrutierung, der Planung, der Technik?
Thomas Roth: Der Schlüssel zum Erfolg liegt meines Erachtens ganz klar in einem cleveren Konzept, und das fehlt in erstaunlich vielen Fällen. Erst dann kann man räumliche Veränderungen, Betriebslogistik und den notwendigen Gerätepark planen. Wir erleben auch Grossunternehmen, die ganz klar sagen: Zuerst bauen, dann planen. Das führt natürlich zu Fehlplanungen und ineffizienten Abläufen.
Patrik Wiget: Andere haben Ideen, aber weder Budget noch Mut. Die Gastronomie ist schnelllebig geworden. Früher wurde der Hirschen für 150 Jahre gebaut, heute braucht es alle fünf Jahre ein neues Konzept und eine Modernisierung. Die Leute sind gefordert, aber oft auch überfordert...
Oliver Brouwer: Auch die Zahl der Beschäftigten muss Teil des Konzepts sein. Viele schreiben rote Zahlen, weil sie nicht wissen, wie man einen Betrieb rentabel führt, das betriebswirtschaftliche Know-how fehlt sehr oft. Wer hingegen seine Kosten im Griff hat, durch eine strukturierte Vorproduktion wenig FoodWaste generiert und auch den Mut hat, neue Wege zu gehen, hat Erfolg. Darunter auch Kleinbetriebe, die ihr Restaurant viermal pro Woche öffnen und stattdessen kleine Läden mit eigenen Saucen, Pastagerichten und Chili von Carne beliefern.
Jasmina Mujalo: Konzepte sind das eine. Die Gastronomie muss sich aber auch öffnen für neue und innovative Konzepten wie digitale Bestell- und Bezahlsysteme. Da ist man im Ausland viel weiter. Und es sollte eine Aufgabe des Verbands sein, darauf hinzuweisen und die Offenheit für den digitalen Weg zu fördern.
Patrik Wiget: Die Digitalisierung in der Gastronomie ist auch ein Generationenproblem. Junge Köchinnen und Köche bedienen digitale Küchengeräte ganz intuitiv, während ältere oft Berührungsängste haben.
Oliver Brouwer: Ich denke, man muss zwischen der Digitalisierung im Service und in der Produktion unterscheiden. Es macht durchaus Sinn, dass Bestellungen schneller in die Küche kommen, wenn sich dadurch Wartezeiten verkürzen.
Thomas Roth: Solche Systeme kennen wir seit Jahren. Es gibt auch längst Roboter, die bedienen. Im Einsatz sieht man sie nicht, weil man den Menschen dabei aus den Augen verlieren würde. Nur schon wer die Gäste mit einem Tablet in der Hand begrüsst, sagt kaum mehr Guten Tag.
Jasmina Mujalo: Es muss ja nicht gleich ein Roboter sein, es geht darum, Bestellprozesse zu vereinfachen und Wartezeiten zu verkürzen. Das wirkt letztlich dem Fachkräftemangel entgegen. Und die Gastronominnen und Gastronomen haben mehr Zeit für ihr Kerngeschäft.
Stephan Frech: Die Digitalisierung ist auch ein wichtiges Instrument zur Energieoptimierung. Welche Lösungen haben sich etabliert? Und welche Rolle spielt trotz der technischen Möglichkeiten auch hier die Arbeitskraft und damit der Mensch?
Oliver Mosimann: Technisch ist vieles möglich, insbesondere mit Energieoptimierungsanlagen, um Spitzen zu brechen. Damit lässt sich viel Geld sparen, und es gibt keinen Grund sie nicht einzusetzen. Es hapert aber vielmehr an der Anwendung. Wir können die Geräte noch so gut isolieren, wenn sie später kaum beladen im Vollbetrieb laufen, nützt das alles nichts.
Oliver Brouwer: Auch strukturiertes und prozessorientiertes Arbeiten spart Energie ein. Ausserdem müsste man das Personal stärker einbeziehen. Man könnte zum Beispiel einen Verantwortlichen benennen, der Laufzeiten und Beladung der Geräte im Auge behält und andere darauf aufmerksam macht. Man könnte sogar interne Wettbewerbe lancieren, um Mitarbeitende zum Energiesparen zu motivieren. Hier ist viel Sensibilisierungsarbeit nötig.
Thomas Roth: Es wäre technisch auch möglich, den aktuellen Stromverbrauch digital anzuzeigen und die Kosten für Energie und Waren ins Verhältnis zum Tagesumsatz zu setzen. Auch das könnte Mitarbeitende motivieren, sparsamer mit Energie und anderen Ressourcen umzugehen. Als Fachplaner könnten wir dabei helfen, solche Anreizsysteme einzuführen.
Markus Conrad: Sensibilisieren ist das eine, digital steuern das andere. Unsere Vitrinen sind in 35 Minuten warm und lassen sich digital gesteuert nicht vor zehn Uhr einschalten. Auch das kann helfen.
Thomas Roth: Je umfangreicher der Gerätepark, desto grösser müssen Lüftungs- und Klimaanlagen dimensioniert werden. Das wirkt sich natürlich auf die Energiekosten aus. Umgekehrt verbraucht ein kleiner, gut ausgelasteter Gerätepark viel weniger Energie. Küchen werden häufig zu grosszügig ausstattet. Und da sind wir wieder beim Konzept.
Oliver Brouwer: Energie sparen ist das eine, FoodWaste eine weitere Herausforderung, der digital begegnet werden kann. So erstellen KI-Algorithmen beispielsweise Prognosen auf Basis vergangener Bestellungen, der Beliebtheit bestimmter Gerichte oder der Wettervorhersage und darauf werden Menupläne und Mengen dann abgestimmt. Aber das Problem ist: Wenn wir keine Köchinnen und Köche finden, nützt auch die Digitalisierung nichts.
Stephan Frech: Ein gutes Stichwort: Mit digitalen Prozessoptimierungen wirkt man dem Fachkräftemangel entgegen. Aber es nützt nichts, wenn wir junge Menschen nicht für den Beruf begeistern können und damit sind wir beim Mitarbeiter-Marketing.
Jasmina Mujale: Um den Beruf attraktiver zu gestalten, müssen wir auch in die Digitalisierung investieren. Sie sollte viel stärker in Ausbildungen einfliessen, das würde helfen das Vertrauen in Systeme wie den Orderman zu stärken.
Oliver Brouwer: Die Digitalisierung ist bereits Teil der Ausbildung. Lernende müssen vielmehr wissen, wie man mit digitalen Prozessoptimierungen Stress aus der Küche nimmt, wie man strukturiert arbeitet, vernünftig einkauft. Gleichzeitig muss man ihnen mehr Freude am Beruf vermitteln, sich Zeit für sie nehmen, mit ihnen auch mal eine Seezunge ausnehmen. Das finde ich viel wichtiger.
Patrik Wiget: Im Grunde fehlt uns fast eine Generation junger Leute, vergleichbar mit einer Juniorenstufe im Fussball. Um die wieder aufzubauen, braucht es viel Zeit und Geld.
Cornelia Escher: Ich bin der Meinung, wir müssen viel früher ansetzen und die Kinder bereits in den Primarschulen abholen, an Berufsmessen präsent sein und die Berufe in der Gastronomie als attraktive Karrieren darstellen. Da ist auch Gastro Suisse in der Pflicht.
Stephan Frech: Lehrerverbände haben erste und gute Erfahrungen mit Quereinsteigern gemacht. Warum gibt es eigentlich in der Gastronomie nicht mehr davon?
Walter Nef: Das scheitert oft an den Löhnen. Aber ja, Querdenken ist wichtig, hergehen und sagen: Warum willst du nicht Köchin oder Koch werden? Das ist eine Möglichkeit, auch mit Imagekampagnen den Beruf positiver darstellen, wie es andere Berufsverbände tun.
Cornelia Escher: Und dann sollten Lernende ihre Kreativität einbringen können. Auch digitale Elemente können junge Menschen faszinieren. Das sollte man vermitteln und nicht, wie stressig der Beruf ist, das sind viele andere auch.
Markus Conrad: Im Fernsehen laufen Kochsendungen in Dauerschlaufe und die Köchinnen und Köche sind regelrechte Stars. Davon müssten wir doch auch etwas abkupfern können. Also prominente Köchinnen und Köche vermehrt einbinden und deren Begeisterung für den Beruf nutzen. Kadi macht das bereits und der Auftritt des Cercle des Chefs de Cuisine Berne (CCCB) an der BEA ging in eine ähnliche und gute Richtung.
Thomas Roth: Das Marketing für den Kochberuf hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Das sieht man auch an der Igeho. Früher wurde dort viel mehr live gekocht, das hat uns beeindruckt und inspiriert, heute ist das viel weniger der Fall.
Walter Nef: Wobei das auch keine Aufgabe der Messe ist.
Und was Fernsehköche betrifft, die können zwar inspirieren, aber im Lehrbetrieb funktioniert das Kochen dann doch anders als bei Jamie Oliver. Ein anderer Punkt ist: In standardisierten Prozessen steckt oft auch nicht mehr viel Kreativität, es geht vielmehr darum, dass die Crème brûlée immer gleich schmeckt. Dessen müssen wir uns auch bewusst sein.
Patrik Wiget: Was auch hinzukommt: In vielen Familienbetrieben haben die Jungen die hohe Arbeitsbelastung ihrer Eltern hautnah miterlebt und sind nicht bereit, den gleichen Einsatz zu leisten. Was auch völlig legitim ist.
Stephan Frech: Abschliessend die Frage: Was können Gastronominnen und Gastronomen eigentlich selbst tun, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
Oliver Brouwer: Sie sollten ihr Personal und deren Arbeit mehr wertschätzen, versuchen, Stress aus der Produktion zu nehmen, flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten, Möglichkeiten für Kreativität schaffen und mehr Zeit für Mitarbeitende aufbringen, dann hat der Beruf eine Chance. Schliesslich ist das Essen in der Schweiz auch ein wichtiges Kulturgut.
Walter Nef: Auch die Gäste sollten die Leistungen der Mitarbeitenden in der Gastronomie wieder mehr wertschätzen und dies auch kommunizieren, ein Merci in die Küche beim Abschied war lange selbstverständlich, heute tut das kaum noch jemand.
Thomas Roth: Die Bereitschaft Lernende auszubilden sollte steigen. Vielleicht braucht es dazu Fördermitteln, die man in bessere Lehrlingslöhne und Weiterbildungen investiert.
Cornelia Escher: Warum nicht auch in der Ausbildung Synergien nutzen und überbetriebliche Ausbildungen anbieten – mit Mehrwert auf beiden Seiten: Die Ausbildung lastet nicht auf den Schultern eines Ausbildners und die Lernenden erhalten Einblick in mehrere Betriebe.
Patrik Wiget: Den Berufsstolz wieder stärken und das den jungen Menschen auch vermitteln. Dafür plädiere ich. Die Arbeit in der Gastronomie ist wichtig und wertvoll, denn letztlich wollen wir alle verpflegt werden.
Oliver Mosimann: Die Gastronomie hat eine gesellschaftliche Aufgabe, die über die Verpflegung hinausgeht. In Restaurants findet ein wichtiger Teil des sozialen Lebens der Menschen statt. Auch das sollte wertgeschätzt werden.
Markus Conrad: Wir müssen den Jugendlichen auch vermehrt helfen, den richtigen Platz in der Gastronomie zu finden und ihnen vermitteln, dass der Beruf cool ist und ihre Arbeit geschätzt wird.
Jasmin Mujalo: Gut ausgebildete Servicekräfte sehe ich vor allem im À-la-Carte-Bereich, während andere Betriebe verstärkt auf Hilfskräfte setzen müssen – und hier sind digitale Konzepte gefragt, die übrigens auch einem neuen Kundenbedürfnis entsprechen.