Ist Trinkgeld «Schwarzgeld»?
Im Zuge der Digitalisierung der Gastronomie wird auch bei uns die Frage vermehrt diskutiert, ob es sich bei dem von Gästen an das Personal eines Gastronomiebetriebes bezahlten Trinkgeld um «Schwarzgeld» handelt. Als «Schwarzgeld» werden Einkünfte bezeichnet, die zwar legal erwirtschaftet, jedoch den Steuerbehörden verschwiegen werden, obwohl sie abgabepflichtig sind. Angeblich sollen allein im Schweizer Gastgewerbe jährlich mehr als eine Milliarde Franken an Trinkgeldern fliessen.
Trinkgeld-Zwang?
War das «Trinkgeld-Geben» bislang eine freiwillige Gepflogenheit, wird es im Zuge der Digitalisierung zunehmend normal, dass der Gast von der Bezahl-App direkt zur Trinkgeldzahlung aufgefordert wird: beim Kartengerät sind festgelegte Sätze – oft degressiv von 20 % bis 5 % - bereits hinterlegt. Nach Auffassung der Kritiker profitierte die Gastronomie hinsichtlich der Trinkgelder bisher von einer Grauzone. Denn das Trinkgeld, welches als Bargeld an das Personal fliesst, wird in der Regel nirgends erfasst. Es erscheint weder auf Belegen noch auf dem Lohnausweis. In der Gastro-Branche herrscht seit je die Rechtsauffassung, dass es sich beim Trinkgeld um eine freiwillige Anerkennungsgeste des Gastes an das Personal handelt, welche nebst dem Konsumationspreis bezahlt wird. Weil aber das Trinkgeld nicht vom Arbeitgeber bezahlt wird, ist es kein Lohnbestandteil. Vielmehr gilt seit dem Jahre 1974 gemäss dem allgemeinverbindlichen Landes-Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes die «Service compris»-Regel. Lange Zeit wurde dieser Umgang mit solchen Einnahmen mehr oder weniger stillschweigend geduldet: Die Angestellten waren dankbar für den abgabefreien Zustupf, die Arbeitgebenden konnten allenfalls den zu erwartenden Trinkgeldanfall inoffiziell in die Lohnverhandlungen einbeziehen, und die Behörden wollten in der Regel keine diesbezüglichen Abrechnungen sehen oder gar Nachforschungen anstellen.
Wann ist Trinkgeld zu deklarieren?
Nun machen Kritiker geltend, dass mit dieser bislang tolerierten Trinkgeld-Praxis die Gastronomen und auch die Angestellten Steuerhinterziehung betreiben würden. Denn als Lohnbestandteil wären solche Trinkgeldeinnahmen sowohl sozialversicherungs- als auch steuerpflichtig. Tatsächlich können infolge von Trinkgeldern, die bargeldlos ausgerichtet werden, für die Arbeitgebenden Auswirkungen in der Buchhaltung entstehen, beispielsweise bei der Abrechnung der Sozialversicherungen oder bei der Erstellung des Lohnausweises. Steuer- und AHV-rechtlich relevant ist, ob das Trinkgeld einen «wesentlichen Teil des Lohns» einer angestellten Person ausmacht (vgl. BSV-WML Stand 1. Januar 2024, Rz 2044). Was in diesem Zusammenhang «wesentlich» bedeutet, wird im Gesetz nicht umschrieben. Die Praxis behilft sich mit einer Faustregel: überschreitet der Trinkgeld-Anteil 10 % des Bruttolohnes, gilt er als «wesentlich» und ist zu deklarieren.
Damit das Trinkgeld nicht zum mehrwertsteuerbaren Entgelt gehört, sind gemäss der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) folgende Bedingungen einzuhalten:
- Der vom Gast digital versprochene Trinkgeld-Betrag muss vollumfänglich an das Personal ausbezahlt werden.
- Der Betrieb muss die Auszahlung des Trinkgelds an das Personal belegen können.
- Der Betrieb darf die Trinkgelder nicht erfolgswirksam verbuchen.
- Das Trinkgeld muss auf der Konsumationsrechnung separat ausgewiesen werden.
- In der Konsumationsrechnung darf keine Steuer auf dem Trinkgeld ausgewiesen werden.
Sind diese Bedingungen erfüllt sind, gehören Trinkgelder nicht zum Entgelt, das vom Betrieb zu versteuern ist.
Vorteile und Befürchtungen
Nach Auffassung der Befürworter profitieren die Arbeitnehmenden längerfristig von der Deklaration des abgabepflichtigen Trinkgeldes, sind sie doch im Unfall- und Krankheitsfall oder bei Arbeitslosigkeit besser abgesichert, steigen doch die dereinst anrechenbaren Altersguthaben und wird doch dadurch ihre Bonität verbessert, was beispielsweise bei der Wohnungssuche oder bei der Nachfrage für Kredite vorteilhaft sein kann.
Demgegenüber befürchten die Gegner, dass Angestellte in besser bezahlte Berufe abwandern, falls das Trinkgeld nicht mehr «schwarz» in ihre Tasche fliessen darf. Ohnehin sorgen sich Angestellte, der Trend zur digitalen Bezahlung wirke sich negativ auf die Bereitschaft der Gäste zur Leistung von Trinkgeldern aus.
Fazit:
In der Trinkgeld-Frage halten mit der Digitalisierung offenbar «amerikanische Gepflogenheiten» Einzug in unsere Breitengrade, infolge derer die Trinkgeldzahlung in der Gastronomie zum sozialen Zwang mutiert. Doch letztlich haben die Beteiligten, also Arbeitgebende, Arbeitnehmende und Gäste, für sich selbst zu entscheiden, welchen Pro- oder Contra-Argumenten sie den Vorzug geben wollen. Dabei gilt es zu bedenken, dass es langfristig sowohl für die Einzelnen als auch für die Gastrobranche von Vorteil sein dürfte, abgabepflichtige Einnahmen korrekt zu deklarieren, auch wenn das unversteuerte Trinkgeld kurzfristig lukrativer erscheint.
(Quellen: Janique Weder, NZZ v. 09.04.2024 /Lea Oetiker, Beobachter v. 09.04.2024)