Das meint Torsten Götz

Nachhaltigkeit auf dem Teller: Pflicht oder Kür?

26.02.2025
Gourmet 1/2/3/25
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Nachhaltigkeit ist ein grosses Thema, das seit geraumer Zeit durch alle Branchen schwebt. In der Gastronomie ist es längst kein blosses Buzzword mehr, sondern ein ernsthaftes Anliegen. 

Trendforscher prognostizieren der Individualgastronomie grosse Chancen – besonders Betrieben, die Regionalität, Nachhaltigkeit und Genusserlebnisse in den Fokus stellen. Aber schon in der Vergangenheit – und da muss ich weit, ja sogar sehr weit in meiner Karriere zurückgehen – haben wir nachhaltig funktioniert. Produkte wurden von regionalen Lieferanten bezogen, kamen somit aus der Region. Das war völlig normal. Man kannte den Bauern, den «Gemüsler», der im optimalen Fall sogar mit seinen frischen, saisonalen Produkten vorfuhr – und wir konnten, ganz wie bei einem fahrenden Migros-Detailhändler, direkt aussuchen, was wir wollten. Oder der Fisch, der kam lediglich ausgenommen vom Fischer am See, das Top-Geflügel vom Züchter, nur gerupft, noch mit Kopf und Innereien…

Klar kamen auch damals schon Produkte aus dem weiteren Umfeld und Ausland, aber dieses «all over the world» – und das nahezu 365 Tage im Jahr – gab es nicht. Auch stand die Weiterverarbeitung nicht wirklich im Fokus – sie wurde einfach gemacht. Das Angebot an verfügbaren Lebensmitteln war kleiner als heute, und auch die Lohnkosten spielten eine ganz andere Rolle. Doch wir waren stets gefordert, aus den verschiedenen Produkten das Optimum herauszuholen – die sogenannte Weiter- und Resteverwertung war ganz selbstverständlich in den Alltag integriert.

Was heisst das in der Praxis?

In alten Zeiten schwelgen mag nett sein, doch nun zurück zur Realität und unserer Zukunft: Was bedeutet Nachhaltigkeit heute für uns in der Praxis? Für manche Betriebe scheint sie eine Luxusfrage zu sein – etwas, das man sich nur leisten kann, wenn die Gäste bereit sind, tiefer ins Portemonnaie zu greifen. Für andere ist sie eine ethische Verpflichtung. Aber eines ist klar: Nachhaltigkeit ist mehr als Kür, sie ist Pflicht. Und sie birgt ungeahnte Chancen.

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Die Ansprüche der Gäste haben sich verändert. Wer heute in ein Restaurant geht, fragt nicht mehr nur: «Wie schmeckt das?», sondern immer öfter auch: «Woher kommt das Produkt?» Ob es sich um ein Stück Fleisch, ein Gemüsegericht oder den Kaffee handelt – Gäste wollen wissen, wie und wo die Zutaten produziert wurden. Dabei stehen Begriffe wie Regionalität, Saisonalität und biologische Qualität im Fokus. Und das ist auch gut so, denn es zwingt uns und die Branche, über unseren Umgang mit Ressourcen nachzudenken. Falls wir das nicht schon getan haben. Aber wie schafft man diesen Spagat zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit? Denn seien wir ehrlich: Nicht jeder Betrieb kann es sich leisten, ausschliesslich Bio-Produkte oder regionale Zutaten zu verwenden. Gerade kleinere und mittelständische Gastronomen stehen vor der Herausforderung, nachhaltiger zu arbeiten, ohne dass die Preise explodieren.

Die Lösung liegt oft im Detail

Es geht nicht darum, von heute auf morgen alles perfekt zu machen. Manchmal reicht es, mit kleinen Schritten zu beginnen.

Ein Beispiel: das Thema Food-Waste. Wusstet Ihr, dass allein in der Schweiz jährlich über 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet werden? Restaurants tragen neben den Privathaushalten ihren Teil dazu bei – aber sie könnten auch eine Lösung sein. Kreative Resteverwertung (ein Wort, das nicht wirklich toll klingt!) ist nicht nur nachhaltig, sie kann auch wirtschaftlich sein. Nachhaltigkeit bedeutet oft, das Beste aus dem zu machen, was bereits vorhanden ist. Eine Möglichkeit ist, diese Weiterverwendung von Lebensmitteln gezielt in die Mitarbeiterausbildung zu integrieren – ein wertvolles Projekt, das man mit den Lernenden entwickeln kann. Beispiele dafür gibt es bereits und werden in einigen Betrieben umgesetzt – sei es als kreative Mitarbeiterverpflegung oder als «Rübis & Stübis»-Gericht auf der Speisekarte zu einem besonders attraktiven Preis.

Ein weiterer Hebel ist die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten. Kurze Lieferketten sind nicht nur gut für die Umwelt, sie schaffen auch Vertrauen. Gäste lieben es, zu wissen, dass der Käse aus einer Käserei um die Ecke stammt oder das Gemüse direkt vom Bauernhof aus dem Nachbardorf. Solche Partnerschaften stärken nicht nur die Region, sie verleihen den Gerichten auch eine Geschichte. Und Geschichten sind es, die Gäste begeistern. Des Weiteren sind wir so in der Lage personalisierte Gerichte zu kreieren. Und mit diesen haben wir wiederum ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Mitbewerbern.

Natürlich gibt es auch Herausforderungen. Regionale Produkte sind nicht immer verfügbar, und manche Gäste haben Erwartungen, die schwer mit Nachhaltigkeit zu vereinen sind. Denken wir an den Wunsch nach Avocado oder Meeresfrüchten. Hier müssen wir als Branche den Mut haben, aufzuklären und Alternativen anzubieten, welche aus der Region stammen. Ein Gericht, das die Saisonalität respektiert, kann genauso spannend sein – wenn nicht sogar spannender. Und unseren Gästen die Saisonalität wieder näherzubringen, muss ein grosses Anliegen von uns allen sein.

Und dann ist da noch die Rolle der Mitarbeitenden. Nachhaltigkeit beginnt nicht nur auf dem Teller, sondern auch im Kopf. Köchinnen, Köche und Servicekräfte müssen verstehen, warum nachhaltiges Arbeiten wichtig ist, und begeistert davon erzählen können. Ein gut geschulter Mitarbeitender, der die Geschichte hinter den Zutaten kennt, wird den Gast überzeugen – und am Ende auch zum Wiederkommen animieren.

Aber warum sollten wir das alles tun?

Weil es nicht nur richtig, sondern auch zukunftsweisend ist. Nachhaltigkeit ist keine Last, sondern eine Chance, die Gastronomie wieder neu zu denken. Wir gehen mit diesem Thema zurück in frühere Zeiten, dürfen und sollen dadurch aber auch wieder spezieller und einzigartiger werden. Abgesehen davon tun wir alle etwas für unseren Planeten, der sicher auch nichts dagegen hat, wenn wir wirtschaftlicher, sprich nachhaltiger arbeiten.

Die Nachhaltigkeit zwingt uns, wieder kreativer zu werden, uns von eingeschleppten Mustern zu lösen und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren: gutes Essen, das mit Respekt vor den Ressourcen sowie mit Hingabe und Freude zubereitet wird. Und Hand aufs Herz: Schmeckt ein Gericht nicht besser, wenn man weiss, dass es mit Sorgfalt und Rücksicht entstanden ist? Nachhaltigkeit auf dem Teller ist keine Kür für wenige, sondern eine Pflicht für alle, die Verantwortung für ihre Gäste und die Zukunft tragen. Die Frage ist nicht mehr, ob wir uns Nachhaltigkeit leisten können – sondern, ob wir es uns leisten können, darauf zu verzichten.


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