Neue Ausbildungsverordnung –Fluch oder Segen? Das meint Torsten Götz.

09.12.2024
Gourmet 12/24
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Es ist soweit: Seit Anfang August 2024 gilt die neue Ausbildungsverordnung für den Beruf Koch/Köchin (EFZ & EBA). Viele schlaue Köpfe aus verschiedenen Gremien haben sich lange Zeit Gedanken gemacht und diese in eine neue, gültige Verordnung umgesetzt. Dieses Mal erlaube ich mir nicht nur, meine eigenen Ansichten und Meinungen zu teilen, sondern habe diverse Kolleginnen und Kollegen aus der Branche mit ins Meinungsboot geholt.

Zunächst ein kleiner Auszug aus der Bildungsverordnung (BiVo) und dem Bildungsplan (BiPla): In der Bildungsverordnung werden die gesetzlichen Grundlagen für die berufliche Grundbildung festgelegt. Dazu gehören unter anderem die Rahmenbedingungen für das Qualifikationsverfahren, die Lektionentafel für die Berufsfachschule und die überbetrieblichen Kurse, die Höchstzahl der Lernenden pro Lehrbetrieb sowie die Anforderungen an die Berufsbildenden.

Der Bildungsplan legt das Qualifikationsprofil und die Ausbildungsinhalte fest. Das Qualifikationsprofil beschreibt den Beruf und die Einsatzmöglichkeiten der Fachkräfte. Die Ausbildungsinhalte sind in Handlungskompetenzbereiche, Handlungskompetenzen und Leistungsziele für Betrieb, Berufsfachschule und ÜK unterteilt.

Die Reform der Kochausbildung in der Schweiz (EFZ 2024) bringt einige neue Handlungskompetenzen, moderne Ansätze und Verbesserungen mit sich. Dennoch gibt es auch kritische Punkte, die bedacht werden sollten. Eine ausgewogene Betrachtung erfordert sowohl die Würdigung der positiven Entwicklungen als auch der potenziellen Schwächen und Risiken.

Digitalisierung als Chance und Risiko

Die Einführung digitaler Tools wie WIGL und die stärkere Einbindung von Technologie werden als zukunftsweisend dargestellt. Allerdings birgt diese Entwicklung auch gewisse Risiken.

Technologieabhängigkeit könnte das handwerkliche Geschick eines Kochs in den Hintergrund drängen, da zunehmend automatisierte Prozesse und digitale Systeme im Vordergrund stehen. Dies könnte zu einer Entfremdung vom handwerklichen Aspekt des Kochberufs führen – einem Aspekt, der für viele den Reiz des Kochberufs ausmacht.

Es könnte der Eindruck entstehen, dass Kochen am PC stattfindet und das eigentliche Handwerk nicht mehr ausreichend gefordert und gefördert wird. Dabei ist die Beherrschung der handwerklichen Fertigkeiten und Kochprozesse die Grundlage für jede Köchin und jeden Koch, um in einer Küche, in der frisch und selbst zubereitet wird, bestehen zu können. Generell sollte im Fokus stehen: Kochen ist nicht nur ein Handwerk, Kochen ist Leidenschaft – und die entsteht am Herd, nicht am PC!

Nachhaltigkeit – echtes Engagement oder Greenwashing?

Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema in der neuen Ausbildung. Dennoch könnte es sich mancherorts nur um eine oberflächliche Anpassung handeln. Wenn der Fokus auf Nachhaltigkeit auf die Beschaffung von Zutaten beschränkt bleibt, ohne tiefgreifende Veränderungen in der Küche umzusetzen (z. B. Reduzierung des Energieverbrauchs, Vermeidung von Lebensmittelabfällen), könnte dies als Greenwashing interpretiert werden. Nachhaltigkeit darf nicht nur ein Marketinginstrument sein, sondern muss ein echtes Lernziel darstellen.

Vielfalt an Lerninhalten – Gefahr der Überforderung?

Der neue Ausbildungsrahmen erweitert den Horizont eines Kochs/einer Köchin erheblich. Von der Beherrschung traditioneller Kochtechniken bis hin zur Integration nachhaltiger Praktiken, technischer Prozesse und Ernährungswissenschaften müssen die Lernenden ein breites Wissen aufbauen. Überforderung und mangelnde Tiefe in einzelnen Bereichen können jedoch die Folge sein. Werden Inhalte nur oberflächlich behandelt, kann die Ausbildung zu einer breiten, aber oberflächlichen Wissensvermittlung führen, die den steigenden Anforderungen der Branche nicht gerecht wird.

Gefahr des Kreativitätsverlusts

Die verstärkte Einbindung von Küchentechnologien und digitalen Tools, wie die Automatisierung von Arbeitsprozessen und die digitale Verwaltung von Lagerbeständen, bringt zwar Effizienzsteigerungen, kann aber zu einem Verlust an Kreativität und Flexibilität führen. Viele Köche schätzen die handwerkliche Freiheit und den direkten Bezug zu den Zutaten. Die stetige Digitalisierung und Technisierung könnten den Beruf unattraktiver machen und kreative Elemente in den Hintergrund drängen.

Technologien wie computergesteuerte Kochprozesse könnten langfristig dazu führen, dass grundlegende Techniken immer weniger trainiert werden. Dies könnte zu einer Abwertung handwerklicher Traditionen führen, die den Beruf seit Jahrhunderten prägen.

Praxisorientierung vs. Digitalisierung

Ein weiteres kritisches Element ist die Frage, wie stark der praktische Anteil der Ausbildung verankert ist. Die Praxisorientierung und der Einsatz moderner digitaler Tools in einem praxisnahen Umfeld müssen ausgewogen sein. Es besteht die Gefahr, dass digitale Instrumente und Technologien als Selbstzweck eingesetzt werden, ohne dass die Lernenden die Möglichkeit erhalten, diese im realen Arbeitsumfeld anzuwenden und zu verstehen.

Ernährungsanforderungen – neues Wissen vs. klassische Kochkunst

Während der neue Lehrplan den Fokus auf moderne Ernährungsanforderungen wie vegane und vegetarische Ernährung legt, besteht die Gefahr, dass die klassische Kochkunst mehr und mehr in den Hintergrund gerät. Die Herausforderung besteht darin, eine ausgewogene Ausbildung zu gewährleisten, die sowohl die Grundlagen als auch neue Trends abdeckt. Dies könnte insbesondere in kleineren Betrieben, die möglicherweise nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen, schwierig sein.

Arbeitsbedingungen bleiben eine Herausforderung

Trotz aller Neuerungen und der Modernisierung der Ausbildung bleiben die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie ein kritisches Thema, das durch die Reform nur unzureichend angegangen wird. Die Branche kämpft seit Jahren mit unattraktiven Arbeitszeiten, Personalmangel und eher niedrigen Löhnen. Diese strukturellen Probleme könnten den Erfolg der Reform einschränken, da auch die besten Ausbildungsprogramme die Abwanderung von Fachkräften aus der Branche nicht verhindern können.

Fazit

Die Reform der Kochausbildung in der Schweiz setzt an den richtigen Stellen an, um die Ausbildung modernen Anforderungen anzupassen. Themen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Ernährungsbedürfnisse sind zweifellos wichtig. Gleichzeitig besteht die Gefahr der Überforderung und Technikabhängigkeit, die handwerkliche Traditionen und kreative Aspekte des Berufs gefährden könnten. Zudem bleibt die Frage offen, ob die reformierte Ausbildung wirklich zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und vor allem des Fachniveaus der zukünftigen Köchinnen und Köche beitragen kann – ein entscheidender Faktor für die Zukunft der Gastronomie.

Stimmen aus der Branche

Was sagen die Fachlehrerinnen und Fachlehrer, die mit den jungen Lernenden und der neuen Verordnung konfrontiert sind? Positiv wird bewertet, dass der Praxis generell mehr Gewicht verliehen wird und es grundsätzlich mehr Praxisaufträge geben soll. Gleichzeitig merken einige an, dass die massive Digitalisierung den grössten Unterschied darstellt. Am generellen Lernziel und am Qualifikationsverfahren (QV) wird sich wenig ändern – «alter Wein in neuen Schläuchen».

Und was meinen Fachkolleginnen und Fachkollegen? Viele Ausbildner berichten, dass sie nun noch intensiver auf die Auszubildenden eingehen und mehr Aufträge verteilen müssen. Diese werden im WIGL als «gläsernes System» für alle sichtbar. Die Sorge besteht, dass im klassischen Betrieb nicht mehr genügend Zeit und Kapazität für die intensivere Betreuung der Lernenden bleiben.

Die neue Verordnung vermittelt den Eindruck, dass der Aufwand unter der neuen Verordnung weiter zunimmt. Zudem könnten lernschwächere und bildungsfernere Jugendliche benachteiligt werden, da die digitalen Anforderungen eine hohe Hürde darstellen können. Auch das finanzielle Engagement, das die jungen Menschen und ihre Familien im Vorfeld leisten müssen, darf nicht ausser Acht gelassen werden.

Es bleibt spannend in unserer Branche!

Mit würzigen Grüssen, Euer Torsten Götz.


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