Culina-Roundtable 

Roundtable – Digitalisierung in der Küche

06.12.2023
Gourmet 12/23
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In den Gastroküchen spielt die Digitalisierung bereits heute eine zentrale Rolle. Köchinnen und Köche überlassen Routineaufgaben smarten Geräten, digitale Tools unterstützen bei der Einhaltung von Hygiene- und Sicherheitsstandards und bringen dank vorausschauender Wartung Effizienz in den Service. Am Roundtable von Culina, dem schweizerischen Verband für Grossküchen-Technik, diskutierten Expertinnen und Experten die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung. Gastgeberin war die Rational AG im aargauischen Zofingen.

Stephan Frech: Beginnen wir mit einem Erfahrungsaustausch – in welchen Gastroküchen ist die Digitalisierung auf gutem Weg? Wo stehen die Hersteller, wo die Planer in dieser Entwicklung?

Bruno Ulrich: Wir haben in einem Spitalverbund auf digitale Reinigungspläne mit integriertem HACCP-Management und Temperaturüberwachung umgestellt. Der Start war etwas holprig, aber heute sagt der Küchenchef: «Zum Glück haben wir das gemacht.» Wir konnten bis zu 30 Prozent Redundanzen beseitigen, vieles effizienter gestalten und werden nun einen weiteren Bereich angehen. 

Reto Hürlimann: Für Rational ist die Digitalisierung nichts Neues. Wir haben weltweit über 65 000 Geräte, die bereits vernetzt sind, viele davon in der Schweiz – von internationalen Grosskunden mit 300 vernetzten Geräten bis zum Wirt, der zwei bis drei Geräte digital steuert. Vielerorts ist zwar eine gewisse Skepsis spürbar. Mit gezielten Schulungen kann man diese aber in der Regel abbauen.

Oliver Mosimann: Bei uns beginnt die Digitalisierung viel früher. Wenn auch nicht überall, werden bereits einige Projekte von Grund auf mit BIM geplant, gebaut und erfolgreich ins FM überführt. Und da spielt die Digitalisierung der Geräte natürlich eine wichtige Rolle.

Stephan Frech: Kannst du uns erst einmal erklären, was BIM überhaupt bedeutet?

Oliver Mosimann: BIM ist eine Planungsmethode und steht für Building Information Modelling, das heisst, es wird zuerst ein digitaler Zwilling geplant und erst dann gebaut. Dazu werden viele Daten benötigt. Die Leistungsphasen in BIM-Projekten unterscheiden sich zur SIA, was immer wieder zu «Konflikten» führt.

David Lusti: Oder anders gesagt: Baut man nach BIM, entscheidet man schon vor Baubeginn, welche Granitabdeckung die Küche erhält. In den SIA-Bauphasen kann dieser Entscheid auch erst am Schluss getroffen werden und viele wollen sich diese Flexibilität erhalten. 

Stephan Frech: Wenn wir über Digitalisierung sprechen, welche Aspekte sind eigentlich entscheidend? Stehen Effizienzsteigerung und Nachhaltigkeit im Vordergrund oder geht es um Prozessoptimierung und Datenerfassung?

Michele Zorzi: Wir haben verschiedene Betriebe mit Plattformapplikationen ausgestattet, so dass wir die Gerätedaten jederzeit im Blick haben – Laufzeiten, Störungsmeldungen – mit diesen Daten können wir arbeiten. Die Datenerfassung ist also sicher ein wichtiger Faktor. Auch Reinigungszeiten und Personaleinsatz können optimiert werden, ebenso wie Maschinenlaufzeiten, um zu lange Stillstandzeiten zu vermeiden. All dies trägt zur Kostensenkung und damit zur Nachhaltigkeit bei.

Reto Hürlimann: Nachhaltig ist vor allem auch eine lange Lebensdauer der Geräte – und hier spielt die digitale Überwachung eine wichtige Rolle, auch dass immer die neuste Software geladen ist. Das macht die Geräte effizienter und insgesamt nachhaltiger. Möglichst viele Geräte zu vernetzen, hat für uns deshalb eine hohe Priorität.

Bruno Ulrich: Die Geräte sind das eine, die Frage ist aber auch, was passiert zwischen Wareneingang und Rückgabe des Geschirrs. Dieser Prozess wird noch nicht digital erfasst und ist sehr personalintensiv. Unsere GN-Schalen sind in den verschiedenen Prozessschritten durchgängig und ohne Umfüllen einsetzbar und die HACCP-Datenerfassung ist dank QR-Codes jederzeit dokumentiert.

Stephan Frech: Wie sieht es im Bereich der Spültechnik aus?

Erwin Marty: Digitalisierungsprojekte werden häufig von Restaurantketten im Bereich Controlling initiiert, um Betriebe vergleichen zu können. Und dabei spielt die Anzahl der gespülten Körbe eine wichtige Rolle, da sie Rückschlüsse auf den Umsatz zulässt, aber auch auf die Nachhaltigkeit, etwa wenn halbvolle Körbe gespült werden. 

Stephan Frech: Kann man das Verhältnis zwischen Kosten und Digitalisierung eigentlich beziffern? Sprechen wir von einer Amortisation in zwei, fünf oder zehn Jahren?

Julien Paris: Wie schnell sich Investitionen in die Digitalisierung amortisieren, ist schwer vorherzusagen. Der Trend geht eindeutig in Richtung Digitalisierung aller Geräte. Die Vorteile, die sich aus dieser Entwicklung ergeben, machen es unumgänglich, diesen Weg zu gehen, ungeachtet der Kosten, die die Digitalisierung verursacht.

David Lusti: Ich denke auch, mit oder ohne Digitalisierung ist nicht die Frage – die Geräte werden immer besser und verändern die Prozesse in der Küche. Aber es ist wichtig, das Potenzial zu nutzen und die Mitarbeitenden entsprechend zu schulen.

Stephan Frech: Mit anderen Worten – eine Kosten-Nutzen-Analyse ist nicht möglich?

Reto Hürlimann: Ich denke, einzelne Bereiche sind sicher messbar, aber generelle Aussagen sind schwierig. Es kommt ganz auf den Betrieb und die Anwendung an.

Erwin Marty: Wir haben Teilbereiche kalkuliert. Im Service zum Beispiel ist eine Effizienzsteigerung von bis zu zehn Prozent möglich, weil wir auf Geräte zugreifen und damit Fahrzeiten einsparen können. Unter dem Strich können wir so auf einen Teuerungsausgleich verzichten. Aber generelle Aussagen sind schwierig, da bin ich mit Reto einig.

Stephan Frech: Was sind für euch Planer typische Herausforderungen?

Oliver Mosimann: Wir stolpern oft schon in der konzeptionellen Phase. Ein einfaches Beispiel: Wollen wir Betriebe digitalisieren, brauchen wir zusätzliche Anschlüsse. WLAN allein reicht nicht. Aber wenn die ersten Kosten auf dem Tisch sind, kommt schnell die Frage: Brauchen wir das wirklich und das Lobbying, wo gespart wird, beginnt. Die nächste Herausforderung ist, dass einige Unternehmen ihren Caterer nicht ins interne Netzwerk einbinden wollen. Wir brauchen also separate Netzwerke und Spezialisten, die das koordinieren. Aber so weit sind wir noch lange nicht – wir kratzen erst an der Oberfläche.

Stephan Frech: Kommen diese Impulse von den Planern oder Produzenten?

David Lusti: Von beiden. Hersteller wollen ihre Geräte vernetzen, um Prozesse, Wartung, Service und Lebensdauer zu optimieren. Wir reden über die Möglichkeiten, das Personal optimal einzusetzen. Und dazu fehlt ein zentrales Gehirn, das alle Daten zusammenführt. Aus Kundensicht wäre eine neutrale Plattform sinnvoll, die für alle Schnittstellen offen ist. 

Jasmina Mujalo: Wir können verschiedene Geräte in unsere Plattform GG+connect integrieren, sowohl unsere eigenen als auch die der Händler. Der Weg führt also ganz klar über eine Plattform, so dass der Kunde sich nicht mit verschiedenen Lösungen auseinandersetzen muss.

Bruno Ulrich: Auch wir spüren diesen Wunsch und haben unsere App bewusst offen gehalten. Man kann dort Reinigungspläne von Rational-Geräten genauso hinterlegen wie von Geschirrspülern, mit der Idee, dass der Kunde alles über eine Plattform überwachen kann. Das muss die Lösung sein, sonst holen wir die Kunden nicht ab.

Stephan Frech: Gibt es Bestrebungen einzelner Akteure, eine gemeinsame Plattform zu entwickeln? 

Jasmina Mujalo: Wir haben uns diese Frage auch gestellt und sind der Meinung, dass die Entwicklung aus der Gastronomie kommen muss. Branchenfremden fehlt das Know-how für die Praxis und damit auch die Akzeptanz bei den Gastronomen.

Oliver Mosimann: Ich glaube nicht, dass eine Herstellerplattform die Lösung ist. Es muss eine neutrale Plattform sein. Wir stehen in Kontakt mit App-Entwicklern und haben auch schon eine Vision. Da geht es um die Möglichkeit, digitale Dienstleistungen, zum Beispiel die Integration der Spültechnik, monatlich per Handy-App zu bezahlen. Aber das steckt alles noch in den Kinderschuhen und braucht Zeit.

Reto Hürlimann: Eine übergeordnete Software, wie sie im Gebäudebereich Heizung, Licht und Beschattung koordiniert, könnte auch in der Küche zum Einsatz kommen. Deshalb launchen wir beispielsweise in Kürze eine API-Schnittstelle für Warenwirtschaftssysteme.

Jasmina Mujalo: Wir haben mit Hobart, Brita und unseren eigenen Geräten ein solches Projekt bereits erfolgreich realisiert. Auf unserer Plattform können die Geräte miteinander kommunizieren, ohne das Daten gespeichert werden. Das heisst, Brita-Daten bleiben bei Brita, Gehrig-Daten bei Gehrig. Loggt sich der Kunde ein, erfolgt lediglich eine Synchronisation der Daten, die so lange zur Verfügung stehen, wie er bei GG+connect online ist. 

Stephan Frech: Wo steht die Schweiz eigentlich im europäischen Vergleich, wenn es um die Digitalisierung geht?

Julien Paris: Wir stellen länderübergreifend einen gewissen Respekt vor digitalen Produkten fest. Unsere Kundinnen und Kunden wollen Geräte, die einfach funktionieren. Wenn wir also mit neuer Elektronik und Apps auf den Markt kommen, müssen wir schrittweise vorgehen, um die nötige Akzeptanz zu schaffen.

Bruno Ulrich: Gerade im Cateringbereich funktioniert der deutsche Markt anders als in der Schweiz. In Deutschland ist die Rückverfolgbarkeit des Geschirrs sehr wichtig, da der Caterer nicht vor Ort ist. In der Schweiz hingegen ist der Caterer immer mit dabei, beim Transport aber auch vor Ort bei der Ausgabe und dann wieder beim Rücktransport. Wir legen den Fokus eher auf die digitale Reinigung, die in Deutschland erst im weiteren Ausbau eingesetzt wird, sobald die Rückverfolgung des Geschirrs etabliert ist. Wir haben also sehr unterschiedliche Anforderungsprofile.

Erwin Marty: England ist sehr innovativ, was Vorschriften angeht. Wenn wir dann in Grossbritannien etwas verkaufen wollen, müssen wir uns daran halten. Ein Land kann also auch zum Beschleuniger werden, weil es bestimmte Informationen einfordert. 

Jasmina Mujalo: Wir haben wenig Berührungspunkte mit ausländischen Märkten. Ich weiss aber, dass die Digitalisierung professioneller Kaffeevollautomaten von grossen Ketten angestossen wurde. Und die Hersteller haben mit entsprechenden Produkten reagiert.  In Deutschland gibt es übrigens Fördergelder für die Digitalisierung – das wäre auch für die Schweiz ein denkbarer Ansatz, um einen Schritt weiter zu kommen.

Reto Hürlimann: Digitalisierung nur, weil sie gefördert wird, halte ich für den falschen Ansatz. Im Zentrum der Digitalisierung muss der Kundennutzen, die Effizienz, die Einfachheit der Prozesse und die Bedienbarkeit stehen, um die aktuellen Herausforderungen wie Fachkräftemangel und steigende Energiepreise zu meistern.

Stephan Frech: Das bringt mich auf die Akzeptanz der Mitarbeitenden – welche Ansätze gibt es hier?

Oliver Mosimann: Wir stellen fest, dass die Akzeptanz keine Generationenfrage ist. Die Frage ist vielmehr, wie man überhaupt soweit kommt, mit Kundinnen und Kunden die erforderlichen Gespräche in der Tiefe zu führen. Gastrounternehmerinnen und Gastrounternehmer müssen dafür Grundlagen schaffen und digitale Strategien erarbeiten. 

Stephan Frech: Fehlt es also am Basiswissen?

Reto Hürlimann: Eher an der Zeit. Die digitalen Möglichkeiten sind eine Investition, die in Zukunft mehr Effizienz bringt, aber gleichzeitig fehlt die Zeit, sich neben dem Tagesgeschäft damit zu beschäftigen. Unsere Aufgabe ist es, digitale Prozesse einfach zu erklären, aber auch intuitiv bedienbare Geräte herzustellen, die den Schulungsaufwand minimieren.

Bruno Ulrich: Der Erfolg hängt entscheidend davon ab, möglichst viele von Anfang an mitzunehmen und zwar von der Geschäftsleitung bis zum Küchenpersonal. Je mehr Mitarbeitende sich einbringen können, desto besser ist später die Akzeptanz.

Stephan Frech: Könnt ihr anhand einiger Beispiele aufzeigen, welche konkreten Verbesserungen die Digitalisierung bringt, aber auch wo noch Potenzial besteht?

Erwin Marty: Spürbare Mehrwerte bietet unser Monitoring im Rahmen von Vollserviceerträgen. Meldet ein Leckagesensor in einem Berggasthaus am Samstagnachmittag ein Leck am Geschirrspüler, können wir den Schaden aus der Ferne beurteilen, quittieren und erst am Montag beheben. Der Kunde spart also viel Geld, weil wir am Wochenende nicht vor Ort sein müssen.

Reto Hürlimann: Im Service sind die Mehrwerte tatsächlich sehr greifbar – ist der Kunde vernetzt, greifen unsere Mitarbeitenden oder Servicepartner vom Büro aus darauf zu und schicken Techniker nur bei Bedarf und dann mit dem nötigen Material im Gepäck. Digitale Werkzeuge können aber auch dazu beitragen, dass weniger qualifizierte Mitarbeitende höherwertige Tätigkeiten übernehmen, zum Beispiel die Qualitätskontrolle bei der Warenannahme.

Michele Zorzi: Auch bei den Verbrauchsmaterialien bietet die Digitalisierung Vorteile: Ein Filter wird zum richtigen Zeitpunkt ausgetauscht, nicht zu früh, nicht zu spät.

Bruno Ulrich: Ein Altersheim hat die Essensausgabe vom Speisesaal auf die Etage verlagert, damit keiner allein essen muss. Im Rahmen dieser Umstellung führte der Betrieb die digitale Reinigung und Temperaturkontrolle ein, um sicherzustellen, dass das Essen in optimaler Qualität auf den Teller kommt. Das Resultat: Der Food Waste konnte von 21,7 Gramm auf 2,8 Gramm pro Bewohner und Tag reduziert werden. Das ist schon beachtlich.

Stephan Frech: Und wohin geht die Entwicklung in den nächsten fünf Jahren, um langsam zum Schluss zu kommen?

Oliver Mosimann: KI wird ein grosses Thema sein, aber auch mit einer zunehmenden Bevormundung einhergehen. Ein Beispiel: Der Geschirrspüler schaltet um 22 Uhr automatisch ab, weil das Kassensystem längst registriert hat, dass der letzte Tisch abgerechnet wurde, etc. Die Anbieter von Kassensystemen werden also zu wichtigen Akteuren.

Jasmina Mujalo: KI wird auch die Produktentwicklung beeinflussen, wenn Nutzungsdaten und Fehlermeldungen von Geräten direkt in die Entwicklung neuer Produkte einfliessen. Metaverse könnte ein Thema für Meetings und Kundengespräche sein und «Minimal Viable Products» die Antwort auf die rasante technologische Entwicklung. Also das Einholen von Kundenfeedback für die einfachste Version eines neuen Produkts, ohne bereits viel Zeit und Geld in die Entwicklung investiert zu haben.

Julien Paris: Wir arbeiten daran mit IoT die Ölqualität zu messen, damit die Köchin weiss, wann sie das Öl wechseln muss, nicht zu früh, nicht zu spät. Das spart Kosten. Und als internationaler Player könnte Metaverse für die Beratung und Schulung unserer Kundinnen und Kunden in Europa und in den USA wichtig werden.

Reto Hürlimann: Für Rational ist der Ausbau der digitalen Kompetenzen sehr wichtig. Die Prämisse ist, eine weitere Vereinfachung in der Küche zu erreichen und angesichts steigender Energiekosten und Fachkräftemangel Lösungen aufzuzeigen. Dann werden wir unser System so weiterentwickeln, dass wir API-Schnittstellen in die Warenwirtschaftssysteme integrieren. Wir werden ein KI-gestütztes Ressourcenmanagement für Energie auf den Markt bringen und den technischen Service auf die nächste Stufe heben.

David Lusti: Es geht rasant weiter mit der Entwicklung. Die Geräte werden zunehmend miteinander kommunizieren, das erleichtert unsere Arbeit und KI wird den nächsten grossen Schritt machen.

Bruno Ulrich: Wir fahren zweigleisig - QR-Codes auf GN-Schalen ermöglichen die Deklaration von Zubereitungsdaten und Allergenen auf der Schale. Ausserdem arbeiten wir daran, mit Hilfe von KI die Temperatur von Speisen zu messen, ohne in das Produkt eindringen zu müssen. Fazit: Ohne KI geht in Zukunft nichts mehr.

Stephan Frech: Das ist doch ein gutes Schlusswort. Ich bedanke mich herzlich, für die angeregte Diskussion. Die vielfältigen Einblicke und praktischen Empfehlungen haben die unterschiedlichen Dimensionen der Digitalisierung gut beleuchtet, die breite Palette an Anwendungsmöglichkeiten aufgezeigt und auch deutlich gemacht, dass wir eigentlich erst am Anfang der digitalen Entwicklung stehen.


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