Wem gehören Overtip und Trinkgeld?

03.10.2022
Gourmet 10/22
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Spätestens seit Corona zahlen die Gäste vermehrt mit Plastikgeld. «Gut für die Gesundheit, schlecht fürs Servicepersonal» resumierten kürzlich die Medien, und SRF-«Espresso» fragte: «Geht wegen des kontaktlosen Bezahlens der Zustupf fürs Servicepersonal verloren?» Wird das kontaktlose Bezahlen also zum eigentlichen «Trinkgeldkiller»? Und auch die Kartenzahlung mit PIN-Eingabe bringe Komplikationen mit sich, meinte die Vertreterin der Gewerkschaft Unia.

Vor der PIN-Eingabe im Kartenterminal könne man zwar einen Trinkgeldbetrag erfassen. Allerdings sei dies den Gästen häufig zu umständlich. Meistens weist daher der Gast das Servicepersonal an, die Konsumationsrechnung auf einen bestimmten Frankenbetrag aufzurunden.

In diesem Zusammenhang wird die neuere Praxis findiger Wirte als «billiger Trinkgeld-Trick» angeprangert, deren Karten-Zahlsysteme dem Gast eine Art Zwangs-Trinkgeld vorgeben: Tip 15 %, Tip 10 %, Tip 5 %. Erst nachher scheint dann die «No-Tip»-Option auf. – Gesamthaft hat der Cashless-Trend zur Folge, dass immer weniger Gäste bar zahlen, weshalb der übliche Zweifränkler oder der Fünfliber entfällt. Unkenrufer wähnen deshalb das Trinkgeld für das Personal in Gefahr.

Trinkgeld ist kein Lohnbestandteil

Offiziell gilt im Schweizer Gastgewerbe seit dem Jahr 1974: «Service compris». Der Service ist im Konsumationspreis inbegriffen. So bestimmt der Landes-Gesamtarbeitsvertrag des Schweizer Gastgewerbes allgemeinverbindlich, dass der Einbezug freiwilliger Kundenleistungen wie Trinkgelder ins Lohnsystem unzulässig ist (Art. 9 Abs. 3 L-GAV). Der Gastwirt darf also dem Personal nicht einen tieferen als den arbeitsvertraglich vereinbarten Lohn auszahlen mit dem Argument, die Differenz werde mit Trinkgeldern verdient.

Trinkgeld und Overtip haben sich eingebürgert

Trotz «Service compris» hat sich das Trinkgeld als freiwillige Zahlung z.B. in Höhe von 10 % oder 15 % des Konsumationspreises verbreitet gehalten. Überdies hat sich der sogenannte «Overtip» eingebürgert, d.h. das Aufrunden des Konsumationsbetrages auf einen höheren Frankenbetrag.

Trinkgeld und Overtips gehören dem Personal

Grundsätzlich entscheidet allein der Gast, ob er nebst dem Konsumationspreis freiwillig etwas geben – rechtlich: schenken - möchte, und falls ja, wem und wie viel. Ohne andere Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Gast mit seinem Zustupf die Leistung des Personals besonders wertschätzen und nicht dem Gastwirt einen höheren Konsumationspreis bezahlen will, als dieser auf der Speisekarte angekündigt hat.

Nun ist zwar der Arbeitnehmer verpflichtet, über alles Rechenschaft abzulegen und herauszugeben, was er im Rahmen seiner Tätigkeit von Dritten für den Arbeitgeber entgegengenommen hat (Art. 321b OR). Allerdings fallen Trinkgelder und in der Regel die Overtips nicht unter diese Herausgabepflicht, weil sie eben nicht für den Arbeitgeber bestimmt sind. M.a.W. gehören Trinkgelder und Overtips primär demjenigen Arbeitnehmer, der diese Zusatzleistungen in Empfang nimmt. – Möchte der Gast seine Zusatzleistungen einem weiteren Kreis, z.B. auch dem Küchenteam zukommen lassen, hat das empfangenden Servicepersonal diese Weisung zu befolgen. Doch im Alltag leisten die Gäste den Overtip bzw. das Trinkgeld zumeist kommentarlos oder mit der lapidaren Bemerkung: «Stimmt so».

Darf der Gastwirt Regeln über die Verteilung von Trinkgeldern oder Overtips erlassen?

Weil freiwillige Zusatzleistungen der Gäste, wie Trinkgelder und Overtips, grundsätzlich dem Personal gehören, darf der Gastwirt darüber nicht eigenmächtig verfügen und sie etwa zur Minderung seiner Personal- oder anderer Betriebskosten einbehalten. Dies gilt unabhängig von der Zahlungsweise, also ob der Gast bar, elektronisch oder per Rechnung bezahlt. Immerhin darf aber der Arbeitgeber seine Abrechnungskosten und -Kartengebühren in Abzug bringen. Allerdings existieren bezüglich Abrechnung und Verteilung von freiwilligen Kundenleistungen keine gesetzlichen oder gesamtarbeitsvertraglichen Regeln. – Damit der Arbeitgeber über die Verteilung der – ihm nicht gehörenden – Gästeleistungen bestimmen darf, benötigt er die Zustimmung der Angestellten. Dies kann entweder im Einzelarbeitsvertrag oder sinnvollerweise in einem speziellen Pool-Reglement («Tronc») geschehen, welches zum Bestandteil des Arbeitsvertrages erklärt wird. In einem solchen Reglement können die Verwaltung, die Abrechnung und der Verteilschlüssel der gesammelten freiwilligen Kundenleistungen geregelt werden. Denkbar ist auch, dass solche Gelder für Personalaktivitäten oder -events verwendet werden.

Fazit

Der Gastwirt darf also Overtips und Trinkgelder nicht eigenmächtig einbehalten, sondern muss darüber abrechnen. – Richtig gehandhabt ist daher die bargeldlose Bezahlung des Trinkgeldes bzw. des Overtips kein «Trinkgeldkiller», sondern dürfte vielmehr die Tendenz beflügeln, die freiwillige Belohnung seitens des Gastes fair auf das ganze Team zu vertei-len, welches an der erfolgreichen gastronomischen Leistung beteiligt war. – Will hingegen der Gast sicher sein, dass das von ihm besonders geschätzte Personal seinen «Zustupf» tatsächlich erhält, übergibt er diesen Betrag am besten direkt in Bargeld.


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